Erste Lektion


Die Pāli-Sprache hat 42 Laute. Davon sind 8 Vokale, 34 Konsonanten. Eine eigene Schrift gibt es für Pāli nicht. Im Orient wird Pāli in jedem Land mit dem Landesalphabet geschrieben. D.h. in Sri Lanka singhalesisch, in Indien meist in Devanāgarī, in Myanmar burmesisch, in Thailand siamesisch und in Europa eben in lateinischen (romanischen) Buchstaben. Da aber das Latein-Alphabet nur 25 Buchstaben hat, ergänzt man es: bei den Vokalen durch übergesetzte Striche, bei den Konsonanten durch über- oder untergesetzte Punkte und durch die Zusammensetzung mit h, dazu kommt für den palatalen Nasal ñ die sog. Tilde.

Mit einem untergesetzten Punkt schreibt man die zerebralen Laute ṭ, ṭh, ḍ, ḍh, ṇ, ḷ und ḷh bei denen die Zunge gegen den Gaumen gepresst wird. Mit einem Punkt über dem Zeichen schreibt man das gutturale ṅ, das ist das n vor k oder g, wie im Deutschen bei Zank und Ring.

Für die nasalierten Vokale ang, ing, ung, im Pāli "Niggahītaṃ" genannt, verwendet man die entsprechenden Vokalzeichen mit folgendem ṃ.

Das Alphabet der Inder, nach dem auch die Pāli-Wörterbücher meist geordnet sind, ist im Gegensatz zum unsrigen rational und hat die folgende Buchstabenordnung:

 

Vokale a, ā, i, ī, u, ū, e, o
Nasallaute  
Konsonanten    
  Verschlusslaute
Nasale
 
tonlose
tönende
tönend
  unasp. aspir. unasp. aspir.
Gutturale k kh g gh
Palatale c ch j jh
ñ
Zerebrale ṭh ḍh
Dentale t th d dh
n
Labiale p ph b bh
m

Halbvokale und Liquide (tönend): y, r, l, ḷ, ḷh, v
Zischlaut (tonlos): s
Hauchlaut (tönend): h

Die Aussprache:
c wie tsch; j wie dsch (weich); y wie deutsches j; s immer wie ss (ß); h wird auch nach Konsonanten als Hauchlaut gesprochen, wie th in Rat-haus, bh in lebhaft; ṃ meist wie ng, aber am Wortende auch oft wie m. Die Betonung, die übrigens schwach ist, richtet sich nach der Länge der vorletzten Silbe. Ist diese lang, so wird sie betont, ist sie kurz, so wird die drittletzte Silbe betont. Lang ist eine Silbe, wenn ihr Vokal lang ist, also mit ā, ī, ū, e, o, oder wenn auf den Vokal zwei oder mehr Konsonanten folgen.

Beispiele: verena auf der vorletzten Silbe betont, weil e lang ist; sammanti auf der vorletzten Silbe betont, weil auf a die beiden Konsonanten nt folgen; kudācanaṃ auf der drittletzten Silbe betont, weil die vorletzte kurz ist. Mehr als auf die Betonung hat man beim Sprechen auf die Länge der Silben zu achten. Lange Silben etwa das doppelte Zeitmaß der kurzen. Kurzes a ist sehr offen zu sprechen, etwa wie in Ball; langes ā dagegen wie in Zahl.

In Pāli-Wörterbüchern werden Substantive und Adjektive nicht im Nominativ, sondern in der endungslosen Stammform aufgeführt. Verben nicht im Infinitiv, sondern in der Wurzel oder in der 3. Person Singular des Präsens. Im Pāli gibt es keinen Artikel. Es ist also zu übersetzen: dhamma "die Lehre" oder "eine Lehre" oder nur "Lehre", je nach dem Zusammenhang. Die Copula (Hilfszeitwort) "ist" und "sind" wird im Pāli oft weggelassen. Bei der Übersetzung muss an passender Stelle "ist" und "sind" eingefügt werden.

 

Übungssätze (auswendig zu lernen!):

Na hi verena verāni sammant’
Nicht nämlich durch Feindschaft die Feindschaften kommen zur Ruhe
idha kudācanaṃ averena ca sammanti
hier jemals, durch Nichtfeindschaft und sie kommen zur Ruhe
esa dhammo sananto.
dieses Gesetz ewiges. (Dhp 5 )

Daṇḍen’eke damayanti aṅkusehi kasāhi
Durch einen Stock einige zähmen durch Treibstöcke durch Peitschen
ca adaṇḍena asatthena nāgo
und nicht durch Stock, nicht durch Waffe der Elefant
danto mahesinā.
gezähmt worden durch den großen Weisen. (Cullavagga VII,3,12)

Anmerkungen:
In sammant’ und daṇḍen’ ist der Endvokal ausgefallen, weil das folgende Wort mit einem Vokal beginnt. Solche Auslassungen kommen in Versen oft, in Prosa selten vor. sammant’ steht für sammanti, daṇḍen’ für daṇḍena.
kasāhi ist I pl von kasā f ;
mahesinā ist I sing von mahesi; die Erklärung folgt in der 2. Lektion.

Der Dhammapada-Vers gehört zu einer Gruppe von 3 Doppelversen. Er enthält die Begründung für die beiden vorhergehenden. Darum ist er mit "hi" = "nämlich" an diese angeknüpft.
Die Vorsilbe a- (vor Vokalen an- ) in averena, adaṇḍena, asatthena, drückt Verneinung aus, wie unsere Vorsilbe un-. Solche verneinten Wörter haben im Pāli oft positive Bedeutung. Also "Nicht-Feindschaft" = "Versöhnlichkeit", ähnlich wie im Deutschen "untadelig" = "in Ordnung".

Übersetzung:
Durch Feindschaft nämlich kommen Feindschaften hier niemals zur Ruhe, durch Versöhnlichkeit kommen sie zur Ruhe. Dieses Gesetz ist ewig.
Manche zähmen mit einem Stock, mit Treibstöcken und Peitschen.
Ohne Stock und ohne Waffe ist der Elefant von dem großen Weisen gezähmt worden.

 

Vokabeln:

sammati » Wz sam = zur Ruhe kommen damayati » Wz dam = zähmen
danta ppp vonWz dam = gezähmt vera n = die Feindschaft
daṇḍa m = der Stock, Stab, Knüppel, die Strafe aṅkusa m = der Treibstock, der Stachel
sattha n = die Waffe kudācanaṃ = jemals
esa m = dieser eke m pl = einige, manche
sanantana = ewig na = nicht
hi = nämlich ca = und (nachgestellt)
dhamma m = Gesetz, Ordnung, Recht, Wahrheit, Lehre, Ding
nāga m = der (starke) Elefant, Schlange(-ngott), Eisenholzbaum

 

a- Deklination:

Substantive, deren Stamm auf -a endet, sind männlich
(z.B. dhamma, nāga, daṇḍa, aṅkusa) oder sächlich
(z.B. vera, sattha). Sie werden so dekliniert:

Singular
Plural
 
männl.
sächl.
männl.
sächl.
N
dhammo
veraṃ
dhammā
verāni (-ā)
G
dhammassa
verassa
dhammānaṃ
verānaṃ
D
dhammassa
verassa
dhammānaṃ
verānaṃ
A
dhammaṃ
veraṃ
dhamme
verāni (-e)
I
dhammena
verena
dhammehi
verehi
Ab
dhammā
verā
dhammehi
verehi
L
dhamme
vere
dhammesu
veresu
Vok
dhamma
vera
dhammā
verāni

Adjektive, deren Stamm auf -a endet, werden als m und n wie die entsprechenden Substantive dekliniert. Z.B. sanantano, sanantanassa, sanantanassa, sanantanaṃ, sanantanena, sanantanā, sanantane, usw.

Der Dativ steht auf die Frage: wem? wozu? wohin?
Der Akkusativ steht auf die Frage: wen oder was? wohin? wann?
Der Instrumental steht auf die Frage: wodurch? womit? durch wen?
Der Ablativ steht auf die Frage: woher? von wo?
Der Lokativ steht auf die Frage: wo? wann?

Konjugation: Indikativ präsens des Aktivs (Gegenwart-Aussage der Tätigkeitsform)
Die meisten Verben bilden den Stamm, indem sie an die Wurzel -a oder -ya oder -aya anfügen, wobei das y dem vorhergehenden Konsonanten assimiliert, d.h. angeglichen wird.
Beispiele: Wz sam + ya = (Stamm) samma; Wz dam + aya = (Stamm) damaya

An den Stamm werden die Endungen angefügt, und zwar:

sing
pl
1. Person
-mi
-ma
2. Person
-si
-tha
3. Person
-ti
-nti

Vor -mi und -ma wird das auslautende a des Stammes zu ā gedehnt. Wir deklinieren also:

sammāmi ich komme zur Ruhe damayāmi ich zähme
sammasi du kommst zur Ruhe damayasi du zähmst
sammati er, sie, es kommt zur Ruhe damayati er, sie, es zähmt
sammāma wir kommen zur Ruhe damayāma wir zähmen
sammatha ihr kommt zur Ruhe damayatha ihr zähmt
sammanti sie kommen zur Ruhe damayanti sie zähmen

 

Lesestück:
Na hi verena verāni sammant’ idha kudācanaṃ
averena ca sammanti, esa dhammo sanantano.

Daṇḍen’ eke damayanti aṅkusehi kasāhi ca,
adaṇḍena asatthena nāgo danto mahesinā.