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Bojjhaṅgā - Faktoren des Erwachens
 

Ein Vortrag von

Santuṭṭho Bhikkhu

Auszug vom September-Seminar 2022

Der Buddha lehrt
British-Museum, London

[Hinweis: dieser Vortrag ist ein Teil aus einem Seminar. Deshalb wird auf bereits gehaltene andere Vorträge verwiesen.]

 

Definition

Zuerst, wie üblich, die Analyse des Begriffes bojjhaṅga. Es handelt sich um eine Zusammensetzung aus bodhi und aṅga und bedeutet soviel wie "Erwachungsfaktor" bzw. "zur Erlangung der Buddhaschaft erforderliche Eigenschaft". Dr. Schmidt übersetzt mit "Vorstufen zum Erwachen", was nicht ganz stimmig sein kann, Paul Debes sagt "Erwachungsglieder" und Ñāṇatiloka "Erleuchtungsglieder".

Wozu das Ganze?

Die Grundfrage lautet: Was will ich erreichen? Wer "Erleuchtung" anstrebt, muss wissen, was das überhaupt ist. Auch, was einem dabei hilft - und was einen daran hindert. Im vorigen Kapitel haben wir bereits Hinderliches und Förderliches besprochen. Man betreibt also Ursachen- als auch Grundlagenerforschung. Und bereits das ist schon einer der 7 Faktoren, nämlich Lehrergründung (dhammavijaya).

Laut AN X,102 ist die Wirkung bzw. der Nutzen der Entfaltung jener Faktoren das Erlangen der drei Wissen, d.i. die Erkenntnis von früheren Daseinsformen, wie und wo andere Wesen sterben als auch wiedererscheinen, und als höchste Erkenntnis, die von der (eigenen) Befreiung von den Einflüssen.

Warum aber heißt es Sam-Bojjhaṅgā? Diese Vorsilbe -sam entspricht saṃ- und die bedeutet einerseits "zusammen, mit" und andererseits "Verstärkung", d.h. diese Faktoren kann und/oder sollte man durchaus gemeinsam und/oder zusammen entwickeln bzw. entfalten, und sie verstärken sich gegenseitig bzw. führen gemeinsam zu einem Ziel. Dabei muss man nicht alle perfektioniert haben - aber je mehr, um so besser.

Und was ist der Unterschied zwischen Sambojjhaṅgā und Bodhipakkhiya-dhammā? Die 37 Bodhipakkhiyadhammā sind ganz allgemein die Grundprinzipien der Buddhalehre, nämlich die 4 Vergegenwärtigungen der Achtsamkeit, die 4 rechten Anstrengungen, die 4 Wege zu geistigen Fähigkeiten, die 5 geistigen Fähigkeiten, die 5 geistigen Kräfte, die 7 Faktoren des Erwachens und der achtfache Pfad. Im Prinzip geht es "nur" darum, raus aus dem Saṃsāra zu kommen und das sind Mittel und Weg(e) dazu, die Werkzeugkiste sozusagen. Und was da bei einem drin ist, bzw. wie vollzählig oder geschärft die einzelnen Werkzeuge bei jedem sind, ist ganz individuell.


Die sieben Faktoren im Einzelnen

Die allgemein übliche Auflistung liest sich wie folgt:
1. Achtsamkeit (sati), 2. Lehrergründung (dhammavicaya); 3. Tatkraft (viriya); 4. Freude (pīti); 5. Gestilltheit (passaddhi); 6. Geistessammlung (samādhi) und 7. Gleichmut (upekkhā).

Achtsamkeit - sati
Paul Debes übersetzt mit "Wahrheitsgegenwart", Ñāṇatiloka sagt im buddistischen Wörterbuch, Achtsamkeit ist Eingedenksein, Besinnung, Sich-ins-Gedächtnis-Zurückrufen, Erinnerung, Im-Gedächtnis-Bewahren, Gründlichkeit, Nichtvergesslichkeit, Achtsamkeit als Fähigkeit, als Kraft, als rechte Besinnung. Im Pāli-Wörterbuch steht:
sati 1. Erinnerung, Gedächtnis; 2. Aufmerksamkeit, Achtsamkeit, Bewusstheit, Besonnenheit; Psych Wachheit

Gesetzesergründung - dhammavicaya
Zumwinkel übersetzt das mit "Wirklichkeitsergründung", Paul Debes mit "Ergründung der Wahrheit", Ñāṇatiloka schreibt: "eigentlich das Tragende, Vertrag, Brauch, Rechtschaffenheit, Gerechtigkeit, Rechtschaffenheit".
Dabei hat dhamma übrigens 12 Übersetzungsmöglichkeiten!
1dhamma m (n) 1. Gesetz(-mäßigkeit), Recht, Wirklichkeit; 2. Sitte, Tugend, Moral, Verhalten; 3. a) Lehre, Text der Lehrreden, Vorschrift; b) Phänomen, Gegebenheit, Ding, Bestandteil der Erfahrung, geistiges Konzept bzw. Objekt, Tatsache; c) Natur, Wesen, Zustand, Eigenschaft, Phase, Benehmen, Ausübung, Art und Weise, Brauch, Pflicht
2dhamma Adj (be-)folgen was rechtens ist
3dhamma(n) n 1. trockene Erde, Ufer; 2. Mil Bogen

Willenskraft - viriya
Zumwinkel übersetzt das mit "Energie", Paul Debes mit "Tatkraft". Ñāṇatiloka mit "Willenskraft" und im Wörterbuch steht, dass viriya 1. "Männlichkeit, Manneskraft, Mannhaftigkeit" und 2. "Energie, Tatkraft" bedeutet.

Freude - pīti
Paul Debes sagt, es bedeute "Beglückung bis Entzückung", Ñāṇatiloka übersetzt mit "Interesse, freudige Anteilnahme, Begeisterung, Verzückung" und im Wörterbuch steht, dass pīti "(erhebende/spirituelle) Freude, Entzücken" bedeutet.


Gestilltheit - passaddhi
Zumwinkel übersetzt das mit "Stille", Paul Debes mit "Stillwerden der Sinnesdränge", Ñāṇatiloka mit "Gestilltsein des Bewusstseins" und im Wörterbuch heißt es dann: passaddhi "Heiterkeit, Ruhe, Zuversicht, Gestilltheit, Enden".

Sammlung - samādhi
Zumwinkel übersetzt wie die meisten mit "Konzentration", Ñāṇapoṇika übersetzt etwas treffender mit "Sammlung", Paul Debes hat das Wortungetüm "weltunabhängige Herzenseinigung" geschaffen, Ñāṇatiloka übersetzt mit "fest Zusammengefügtsein, d.h. Sammlung, Konzentration d.i. das Gerichtetsein des Geistes auf ein einziges Objekt", was so aber nicht ganz stimmt, denn dann wird das Wort vicāra verwendet bzw. ekaggatā ("Einspitzigkeit des Geistes"). Im Wörterbuch steht bei samādhi: "Versenkung, Konzentration, Meditation". Und Letzteres, also "Meditation" wäre im Sinne der Bojjhaṅgā die beste, d.h. treffendste Übersetzung, denn es gibt ja nicht nur Geistesruhe- sondern auch Einsichts-Meditation - und Einsicht im Sinne von Erkenntnis ist das, was "zündet". Erkenntnis, also dieses "Aha!"-Ding ist doch das, was man unter "Erleuchtung" zu verstehen hat. In den Texten steht oft genug: "Da stieg in mir die Erkenntnis auf...".

Gleichmut - upekkhā
wird übereinstimmend so übersetzt. Aber Gleichmut ist zweierlei. Zum einen hat das Wort die Bedeutung als eine ethische Eigenschaft des Geistes, und zum anderen bezeichnet es ein indifferentes Gefühl, eben wie es im Deutschen die beiden Worte Gleichmut und Gleichgültigkeit gibt. Im Wörterbuch steht: upekkhā "Indifferenz, Gleichmut, Desinteresse, Nichtanteilnahme".


Die "Reihenfolge"

Da gibt es keine allgemeingültige, sondern "nur" eine Art von pragmatischem Prinzip, wie z.B. in MN 10, dem Satipaṭṭhāna-Sutta, wo man als Vergegenwärtigung der Achtsamkeit (nicht Grundlagen !!) bei der Betrachtung der sog. "Geistobjekte" (dhammā) eben jene 7 Faktoren benutzt, d.h. man betreibt Dhammānupassanā.

Man kann diese Faktoren durchaus einteilen in solche, die eher "energetisch" sind, oder die eher "still", also "ruhig" sind und solche, die man als "neutral" bewerten kann. Da stellt sich die Frage, welche davon wohl jene entsprechenden, d.h. kennzeichnenden Eigenarten haben.

 

Die drei energetischeren

Da haben wir als Erstes pīti, d.h. die spirituelle/erhebende Freude. Wieso wird da "Verzückung" gesagt, statt simpler "Freude"? Das Glücksempfinden ist auch bloß ein Gefühl, also anicca. Andererseits gilt allerdings: Ohne Freude kein Fortschritt! Wobei zu beachten ist, dass 'Freude machen' kein Faktor ist, denn man kann bei anderen nichts "machen", nur "auslösen". Ist denn dann Mitfreude auch ein Bojjh-aṅga. Allerdings nicht, auch wenn der selbe Wortstamm darauf hinweist. Es gibt einen qualitativen Unterschied zwischen spiritueller Freude und der auf Äußerlichkeiten beruhenden.

Als Zweites wird viriya, die Tatkraft genannt. Aber wieso "Willenskraft", statt simpler "Energie"? Tatkraft ist gerichtet, kombiniert mit Aufmerksamkeit, Achtsamkeit, Bewusstheit, Anstrengung aber auch Wissen. Es ist keine bloße Kraft, die nur latent ist bzw. nur auf Abruf zustande kommt. Sollte man nun Tatkraft üben oder lieber energisch sein? An dieser Frage ist erkennbar, wie sehr Achtsamkeit benötigt wird, um in Sachen Erwachensfaktoren voranzukommen. Jedenfalls mündet zu viel Tatkraft in Unruhe, Aufregung, was dann ein Hemmnis ist. Kann man eigentlich mit ADHS meditieren? Hier erneut der Hinweis auf das Ausmaß an Achtsamkeit. Allerdings ist weiser Umgang mit dem, was einem zur Verfügung steht, also die sprichwörtliche "Werkzeugkiste", unerlässlich. Dazu ein Zitat aus Cariyapiṭaka-Kommentar, betreffend Pāramī in Bezug auf den Bodhisattva:
"Tatkraft ohne Weisheit erfüllt nicht den erwünschten Zweck, denn sie ist falsch erweckt worden, und es ist besser, überhaupt keine Tatkraft zu erwecken, als sie auf die falsche Art zu erwecken. Aber wenn die Tatkraft begleitet ist von Weisheit, gibt es nichts, was nicht erreicht werden könnte, sofern es mit den richtigen Mitteln ausgestattet ist. Noch einmal, nur der Mann mit Weisheit kann geduldig die Fehler der anderen ertragen, nicht der stumpfsinnige Mann. Bei einem Mann, dem die Weisheit mangelt, rufen die Fehler der anderen Ungeduld hervor; aber für den weisen, rufen sie dessen Geduld auf's Spiel und bewirken, dass sie sogar stärker anwächst. Der weise Mann, der die drei edlen Wahrheiten verstanden hat, wie sie wirklich sind, deren Ursachen und Gegensätze, der spricht niemals herablassend zu anderen. Auch so formt der weise Mann, nachdem er sich selber mit der Kraft der Weisheit gerüstet hat, in seiner inneren Kraft einen unerschütterlichen Entschluss, alle Pāramī zu unternehmen. Nur der Mann der Weisheit ist geschickt beim Besorgtsein um das Wohlergehen aller Wesen, ohne zwischen lieben Menschen, neutralen oder Feinden zu unterscheiden. Und nur durch die Mittel der Weisheit kann er neutral gegenüber solchen Launen der Welt, wie Gewinn und Verlust verweilen, ohne von ihnen berührt zu werden."

Übrigens: Die dritte Edle Wahrheit, d.h. die Aufhebung des Leidens, ist bei bzw. für einen Bodhisattva ausgeschlossen, da sie der nur direkt beim Erlangen der Buddhaschaft verwirklichen wird. Das bedeutet, wer das Bodhisattva-Gelübde abgelegt hat, wird die Aufhebung der Unzulänglichkeit nie erlangen. Laut Cp-Kommentar möge man folgendermaßen über Tatkraft nachdenken:
"Ohne Tatkraft kann ein Mann nicht einmal in weltlichen Arbeiten erfolgreich sein, die auf ein sichtbares Ende gerichtet sind. Aber es gibt nichts, was der energetische, unermüdliche Mann nicht erreichen kann. Jemand, dem es an Tatkraft mangelt, kann nicht unternehmen, alle Wesen von der großen Flut des Saṃsāra zu retten; sogar wenn seine Tatkraft nur angemessen ist, wird er mittendrin aufgeben. Aber einer, der vor Tatkraft strotzt, der kann bei allem was er unternimmt Vollkommenheit erlangen."

Die edlen Eigenschaften der Tatkraft sollten des Weiteren wie folgt überdacht werden: "Einer der geneigt ist, allein sich selber aus dem Sumpf des Saṃsāra zu erretten, kann sein Ideal nicht erfüllen, wenn er in seiner Tatkraft nachlässt; um wieviel weniger einer, der beschlossen hat, die ganze Welt zu retten."

Als Drittes haben wir dann dhammavijaya, die Lehrergründung. Darüber wurden bereits ein paar Worte gesagt. Am deutlichsten erscheint hier die Frage, ob Studium nur Theorie ist oder ob Bücherwissen als Grundlage für Erkenntnis taugt. Und das ist unbestreitbar der Fall. Achtsamkeit und Konzentration sind hier wichtige Bestandteile der Praxis. Und Praxis bedeutet ajjhatta-bahidda, d.h. das Erlernte sowohl innen als auch außen bzw. bei sich selber und bei anderen in Anwendung zu bringen. Das Risiko "kopflastig" zu werden, ein bloßer Theoretiker, ein "Bücherwurm", ist hoch - aber in Verbindung mit Dhamma dennoch deutlich heilsamer als manch andere Studien. Und nicht zuletzt bewahrheitet sich auch hier: Lesen gefährdet die Dummheit.

Das Lesen in den Lehrreden muss nicht "der Reihe nach" erfolgen. Man kann durchaus in den einzelnen Büchern "wahllos" einzelne Lehrreden als auch ganze Abschnitte lesen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass es auch Abschnitte gibt, die sich deutlich mehr an Ordinierte richten, statt an "Hausleute".


Die drei ruhigeren

Das wird als erstes samādhi, die Geistesruhe bzw. Konzentration genannt. Auch darüber wurde bereits einiges gesagt.

Als zweites erscheint passadhi, die Gestilltheit. Ein eher unklarer Begriff. Was soll das denn bittschön sein? Was ist der Unterschied zur Geistesruhe? Wenn da Ruhe ist im Geist, ist doch automatisch "Stille". Diese Art Stille ist hier aber nicht gemeint, sondern das Zurruhekommen allen Gestaltens, allen Drängen, Wollens usw.

Und dann wird noch upekkhā, der Gleichmut angeführt. Wie bereits erwähnt, ist Gleichmut etwas anderes als Gleichgültigkeit. Gleichgültigkeit ist ganz nahe an unterlassener Hilfeleistung, was bei Gleichmut kaum der Fall sein wird, da dieser mit einem gewissen Mindestmaß an Weisheit als auch Achtsamkeit verbunden ist.


Der eine neutrale

Faktor des Erwachens ist sati, die Achtsamkeit. Darüber wurde bereits beim Achtfachen Pfad gesprochen. Dort hieß es sammā sati, also Rechte Achtsamkeit. Aber das bedeutet keineswegs, dass sati unter den Faktoren des Erwachens "unrechte" oder gar "falsche" (micchā) ist. Der Unterschied zwischen Sati und Sati-sambojjhaṅga dürfte in der Qualität bzw. der Intention liegen. In MN 10 erscheint die Vergegenwärtigung von Achtsamkeit im Bezug auf die sieben Faktoren des Erwachens als "Geistobjekt" (dhammā) und das im Zusammenhang mit den 4 Edlen Wahrheiten. Hier ist wieder deutlich erkennbar, wie sich all die Begriffe miteinander ergänzen, wie sie miteinander zusammenhängen usw. usf.

Laut MN 10: verweilt man, indem man die Achtsamkeit bei sich selber, also "innerlich", als auch bei anderen, d.h. "äußerlich", sowie wechselseitig betrachtet. Auch die Bedingungen, die zum Entstehen bzw. Schwinden führen, die betrachtet man, aber nur in dem Maß, wie es zur Meditation förderlich ist, nicht dass man sich verrennt.

Aber wie kann man Achtsamkeit "betrachten" - mit Achtsamkeit? Da beißt sich doch der Hund in den eigenen Schwanz. Minimalste Voraussetzung ist sammā-diṭṭhi, d.h. rechte Ansicht. Ohne rechte, d.h. richtige Ansicht ist man verloren, siehe "Sammādiṭṭhi-Sutta" (MN 9). Hinsichtlich aller Faktoren muss man also eben jene richtige Ansicht entwickeln, und die beinhaltet eben Analyse, ganz im Sinne der Lehrergründung, sowie Synthese, wobei man die Dinge wieder in Zusammenhang bringt und ihre Wirkung usw. erkennt.

Wieso ist aber Erkenntnis bzw. Weisheit (paññā) kein Faktor des Erwachens? Ganz einfach, weil sie bei der Entwicklung eben jener Faktoren beinahe schon zwangsläufig entsteht. Das ist wie ein Naturgesetz. Gerade wie der berühmte Apfel aufgrund der Schwerkraft zu Boden fällt, ebenso führt die Entfaltung der sieben Bojjhaṅgā zur Erkenntnis.


Alle zusammen

Wieso ist eigentlich die Tugend (sīla) kein Erwachensfaktor? Immerhin wird sie doch oft genug als Grundlage aller heilsamen Dinge bezeichnet, wie bereits unter dem Thema Achtpfad beschrieben. Wenn man nur ein bisschen nachdenkt, kommt man selber auf die Antwort. Wer Tugend entfaltet, der kann auch die Erwachensfaktoren entfalten. Und wer Rechte Ansicht hat, der weiß darum und wird sich automatisch um ein ethisch korrektes Verhalten bemühen. Hier bedeutet Wissen tatsächlich "Macht" - nämlich die Macht, selber etwas bewerkstelligen zu können.

Die Brahmavihāra sind übrigens auch keine Erwachensfaktoren. Und warum? Genau das geht ja aus der Übersetzung des Wortes hervor. Es sind eben "nur" Zustände. Hier fehlt die Erkenntnis. Der Buddha sagt in MN 8, dass sogar die Erreichung aller acht Vertiefungszustände "nur" göttliches Verweilen sind.

Achtsamkeit, das ist sozusagen der zentrale Faktor, das "Zünglein" an der Waage, denn als ein solches Bild kann man sich die sieben Faktoren in ihrer Gesamtheit und ihrem Wirken vorstellen. Auf der einen Seite des Waagbalkens sind die drei energetischen Faktoren, auf der anderen Seite die drei ruhigen, und eben ganz exakt in der Mitte die Achtsamkeit. Von den energetischen als auch von den ruhigen Faktoren kann man zu viel haben, von Achtsamkeit niemals. In AN III,103 steht:
"Sollte der sich in hoher Geistigkeit Übende ausschließlich der Geistessammlung seine Aufmerksamkeit schenken, so möchte es sein, dass sein Geist zur Schlaffheit neigt. Sollte er ausschließlich der Anstrengung seine Aufmerksamkeit widmen, so möchte es sein, dass sein Geist zur Unruhe neigt. Sollte er ausschließlich dem Gleichmut seine Aufmerksamkeit widmen, so möchte es sein, dass sich der Geist nicht recht auf sein Ziel der Triebversiegung sammelt."

Das bedeutet, dass zuviel Freude, Tatkraft und Lehrergründung eben Aufgeregtheit, d.h. Unruhe bringt. Zuviel Konzentration macht den Geist möglicherweise eng und/oder starr, zuviel Gestilltheit und zuviel Gleichmut führen zu Trägheit bis hin zu völliger Inaktivität. Daher an dieser Stelle nochmals der Hinweis auf die Vorsilbe sam-, die darauf verweist, dass diese sieben Faktoren zusammenwirken, sich gegenseitig verstärken. Und genau hier spielt eben die Achtsamkeit die entscheidende Rolle. Hier kann man erkennen, dass Achtsamkeit auch eine hinweisende, eine vergegenwärtigende, aufmerksammachende usw. Qualität hat.

Laut MN 10 ist im Sinne der vier Vergegenwärtigungen der Achtsamkeit (satipaṭṭhāna) das Vorhandensein bzw. die Abwesenheit, sowie die jeweilige Ursache und Bedeutung zu ergründen, und was man tun könne, wenn der/die Faktoren nicht vorhanden sind, bzw. falls vorhanden, was man zu tun hat, damit sie nicht verschwinden. Wobei wir erneut beim Thema Plus und Minus wären.

Hinderliches für die Entfaltung

Haben wir bereits beim vorigen Thema, der Meditation besprochen. Daher hier nur eine Art Wiederholung bzw. Zusammenfassung.
Wichtigstes Gegengewicht sind die fünf, eigentlich auch sieben, geistigen Hemmnisse (nīvaraṇā), also Übelwollen, Sinneslust, Mattigkeit und Müdigkeit, Aufgeregtheit und Gewissensunruhe, sowie skeptischer Zweifel. Danach werden die Befleckungen (kilesā) Gier, Hass, Verblendung usw. usf. gelistet, dann die kleineren Befleckungen (uppakilesa), also Familienbindung, Lehramt, Schüler, Ruhm und Ehre, Verantwortung usw. Aber der Hammer ist, was in AN I,15 steht: "Nichts hinderlicher, als unweises Nachdenken!"

Bildhaft ausgedrückt ist unser wichtigster Gegenspieler: Māra. Laut Wörterbuch bedeutet das: "Tod, Verderben" oder in buddhistischem Sprachgebrauch "Versucher, Teufel", ja sogar "der Töter". Aber auch: "der Schwarze, Finstere, das Böse schlechthin". Da erkennt man das Konzept des "Antichrist", was hier im Sinne von "Antibodhi" ist nahezu identisch erscheint.


Förderliches für die Entfaltung

Auch das wurde bereits mehr oder minder ausführlich beim Thema Meditation besprochen. Jedenfalls sind es erstaunlicherweise die Bojjhaṅgā selber, wie eingangs bereits gesagt, da sie sich gegenseitig stützen/fördern/verstärken.

Gleichermaßen sind die 37 zum Erwachen führenden Faktoren zu nennen, von denen der Achtpfad wohl am wichtigsten bzw. effektivsten sein dürfte, davon wiederum besonders die Tugend (Rede, Handeln, Lebenserwerb) als Grundlage. Aber wie bereits mehrfach erwähnt, ist allererste Grundvoraussetzung sammā diṭṭhi d.h. rechte Ansicht.

Laut AN I,15 ist weises Nachdenken absolut förderlich für das Entstehen und die volle Entfaltung der Erwachensfaktoren. Weises Nachdenken, das ist bzw. beinhaltet Lehrergründung, Rezitation, entspr. "Betrachtungen", edle Freundschaft usw.

Laut AN IX,1 ist ein edler Freund/Gefährte die Grundlage für die Entfaltung der zur Erleuchtung führenden Dinge. Dem zur Folge übt man sich dann in Sittlichkeit bzw. Tugendhaftigkeit, es werden einem zur Erschließung des Geistes förderliche Gespräche zuteil, man setzt Willenskraft ein, um Unheilsames zu überwinden und Heilsames zu erwecken und letztendlich entsteht Weisheit, die das Entstehen und Vergehen begreift.

Aber wie gehen wir mit dem im vorigen Punkt genannten "Māra" um? Vielleicht ist es gar nicht mal so schlecht, sich Māra als Person vorzustellen. Das macht die Sache etwas einfacher. In diesem Fall kann man dann nämlich Mārānupassanā betreiben, also die Betrachtung von Māra, was selbstverständlich keine vom Buddha gelehrte Meditationsart ist, und daher auch nicht dort erschien. Und wie kann man das üben?

Da überlegt man also bei sich wie folgt: "Māra ist ständig und überall", "Er ist mein "bester" Freund. Immer da, stets 'hilfsbereit', sehr verlässlich." usw. Man geht also mit ihm um, wie mit einem Vertrauten. Dennoch respektvoll aber distanziert. Mitunter hilft es allerdings sehr, ihn lächerlich zu machen, statt Furcht vor ihm zu entwickeln. Zweierlei Möglichkeit ist, sich mit ihm "vertraut" zu machen: Einerseits, wenn man immer, wenn einem etwas Schlechtes widerfährt, denkt man sich 'Māra kämpft um mich!'. Wenn einem noch Schlimmeres widerfährt, denkt man sich: 'Wow! Wie sehr muss doch Māra daran gelegen sein, mich in seinen Klauen zu halten, dass er derart heftig um mich kämpft!'. Andererseits, wenn einem etwas Gutes widerfährt, dann gönnt man Māra dieses auch. Was immer hilft ist, wenn man wünscht: "Möge er genauso glücklich sein, wie ich, wenn ich dies und das Gute erfahre." oder "Möge er doch die selbe Erfahrung machen!" - "Möge doch auch er Nibbāna erlangen!" - dann ist endlich Ruhe.

 




 

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