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Ich - Selbst - Mein
 

Ein Vortrag von

Santuṭṭho

vom 9. März 2008

Ein "Fußabdruck" von Buddha
Gayasisa, Nähe Bodhgaya


"Kein anderes Ding kenne ich, das unentfaltet, unaufgeschlossen und vernachlässigt zu so großem Unsegen führt, wie der Geist. Zu großem Unsegen führt der unentfaltete, unaufgeschlossene und vernachlässigte Geist." [Anguttara Nikaya I,3]

Das ist hart. Und so etwas aus dem Munde eines Erwachten? Aber zum Glück brauchen wir uns ja davon nicht angesprochen fühlen. WIR doch nicht. Was der Buddha so gesagt hat, daran glauben ja die Buddhisten. Mögen die sich doch damit unglücklich fühlen.

ICH nicht. Ich habe ja schon immer gewusst, dass Buddhismus pessimistisch ist. Ständig dieses Herumgenörgele an dem, was mir Spaß macht. Immer ist alles Leiden. Ich hab's satt, dauernd dieses Gejammer. Ich bin hier, weil ich mal was exotisches brauch. Ein wenig Abwechslung vom Alltag. Aber dass, was ich heute und hier zu hören kriege, das passt mir ja gar nicht in den Kram.

Liebe Gäste, noch haben Sie Gelegenheit zu gehen. Unauffällig. Genau so unauffällig, wie Ihre Meinungen und Vorstellungen von sich selber, einmal in Frage gestellt, sich allerdings mehr oder weniger vehement dagegen verwehren. Wer wehrt sich da? Und wogegen? Und schon sind wir mitten drin - statt nur dabei!

Heute kann ich diejenigen gut verstehen, die sich nur gar zu gerne hinten hinsetzen. Es ist nicht immer von Vorteil, wenn man in der ersten Reihe sitzt. Schließlich sind wir hier nicht beim öffentlichen Fernsehen.

Heutiges Thema: ICH. Nein, nicht ich, der ich hier bin, sondern "das Ich", "das Selbst", "das Mein". Wieso drei Worte, wo eines genügt? EInes ist schon heftig, aber gleich drei. Was soll denn das? Liebe Gäste, ganz einfach: das sind die drei Dinge, an denen wir am allermeisten festhalten, mit denen wir uns seit grauer Vorzeit identifizieren, die unser Dasein ausmachen. Keine Sorge, ich will Ihnen nichts wegnehmen oder ausreden. Sie sind jederzeit frei zu gehen, wenn Ihnen das Thema nicht zusagt. Tja, wen erfreut es schon, einen kritischen Spiegel vorgehalten zu bekommen? Hier ist es auch angebracht, Ihnen mitzuteilen, dass Sie meine Ausführungen nicht ganz todernst nehmen mögen. Auch erlaube ich mir, mitunter ein wenig Scherz zu treiben. Seien Sie also ruhig vorsichtig.

Gehen wir es also langsam an. Was bedeutet "Ich"?
Rein analytisch fangen wir beim Materiellen an. Warum? Weil die Materie das ist, was uns am ehesten nachvollziehbar erscheint. Weil Materie das ist, was wir mittels diverser Apparaturen untersuchen können. "Woraus bestehen wir?" lautet die erste Frage an SIE.
[Antworten ... ] ... und was weiter? ... [Körper + Geist ... Elemente...]

Untersuchen wir unseren oder alles körperliche, so kommen wir zu dem selben Resultat: Materie besteht aus den Vier Elementen, weiterhin aus den chemischen Elementen, noch weiter aus Atomen, diese wiederum haben da einen Kern, der wiederum teilbar ist usw. Letztendlich bleibt von dem, was wir als Körper, als Dinge erfahren nichts weiter übrig als leerer Raum. Kurz alles ist leer. Der Buddha kam vor 2600 Jahren auch ohne Instrumente, ohne Mikroskop zu dem selben Ergebnis. Atthi imasmiṃ kāye: paṭhavīdhātu, āpodhātu, tejodhātu, vāyodhātu. Auch sagte er, dass es da kleinste Teilchen gibt, die ungeheuer schnell entstehen und vergehen, die Kalāpas. Was hat die Wissenschaft anderes getan, als das zu bestätigen? Sind wir uns hierin einig?

Da wir also im Materiellen keine Substanz finden können, die wir "Ich" nennen können, so müssen wir mal im geistigen suchen. Irgend wie aber auch logisch. Woraus besteht nun unser Geist? [Gefühl, Wahrnehmung, Wille, Bewusstsein ...] Frage: Wer hat mehr als das oder etwas anderes? Nur Mut! ... Wollen wir uns doch mal diese Bestandteile ansehen: Was ist Gefühl? Wie entsteht das? Wenn es erst entsteht durch Kontakt, wie kann man das dann mit "Ich" bezeichnen? Derart unbeständig, das KANN einfach nicht das "Ich" sein. Die Wahrnehmung: bedingt durch Gefühl, welches wiederum durch Kontakt von Sensor und entsprechendem Objekt entstand, ist ebenso als ein "Ich" unwahrscheinlich. Der Wille, das Wollen, DAS ist da schon eher interessant - oder? WER will denn da? Wie oft hören wir: "Ich will!" Aber bohren wir da mal hinein, dann müssen wir leider zu dem Schluss kommen, dass das Wollen aus der Gier nach was-auch-immer bzw. der Ablehnung von was-auch-immer entspringt. Ist also das mir innewohnende Wünschen, das Habenwollen mein "Ich"? Oder das mir innewohnende Ablehnen bis hin zum Hass mein "Ich"? Wie äußern sich überhaupt Mögen und Nichtmögen? Über Gefühle. Da beißt sich der Hund in den Schwanz. Eine Sackgasse also. Hier kommen wir nicht so recht weiter. Wille ist, wir haben es vielleicht schon verstanden, auch bedingt entstanden, unbeständig, keinesfalls etwas, was man mit "Ich" bezeichnen kann. Tja, da bleibt nur noch das, was wir als Bewusstsein verstehen. Denn schließlich bin ich mir ja bewusst. Ich weiß ja, dass ich bin. "Ich denke, also bin ich" hat Descartes gesagt. Wenn es da demzufolge jemanden gäbe, der nicht denken kann, warum auch immer, so ist dieser nicht, wäre dann der Umkehrschluss. Quatsch. Aber der Ansatz ist hochinteressant! Über das Bewusstsein, genauer gesagt, das reflexive Bewusstsein, etwas, was uns Menschen schließlich von den Tieren unterscheidet, da entsteht die Idee, das Konzept, das, was wir "Ich" benennen.

Haben wir es endlich gefunden! Wir dürfen aufatmen. Es ist vollbracht. Da liegt es vor uns in seiner vollen Pracht: das "Ich". Im Bewusstsein gut verborgen gewesen, haben wir es heraus geschält, um es zu untersuchen. Nun, dann tun wir es mal. Gehen wir einen Schritt in der Analyse zurück. Das Bewusstsein. Wie ist es entstanden? Woraus besteht dieses? Unangenehme Fragen. Wer hat schon so viel Zeit und Muse, sich damit zu beschäftigen? Keine Angst! Wir brauchen nicht lange dafür. Frage an Sie: Wie entsteht Bewusstsein? Haben Sie eine Idee? War es schon immer da? Ist das Bewusstsein etwas ewiges? Etwas unveränderliches? Gar etwas göttliches? Unerforschliches? Ja was denn dann? Irgend etwas MUSS es doch sein! Mann kann der nerven! Werden Sie denken. Das ist auch Ihr gutes Recht. Aber wenn Sie so denken, dann sind eben auch bloß Sie selber genervt. Es ist Ihre eigene Wahrnehmung, beruhend auf Ihrem eigenen bedingten Gefühl, welches wiederum durch Schallwellenkontakt an Ihrem Ohr bedingt entstanden ist. Daran kann ich alleine schlecht schuld sein. Ich habe doch bloß ein paar Schallwellen produziert. Den Rest haben Sie selber gemacht. Also geben Sie mir bitte nicht die Schuld daran, dass Sie sich jetzt vielleicht unwohl fühlen.

Ja unser "Ich". Wie lange leben wir schon damit? Wie lieb und wert ist es uns geworden. Und jetzt sollen wir es einfach aufgeben? Nur weil es da jemanden gibt, der unbequeme Fragen stellt? Nö, nö, nö. ICH doch nicht.

Das graue Tier "Gewohnheit" schlägt hier zu. Wir sind es gewohnt mit dem, was wir als unser Ich empfinden zu hantieren. Ist ja auch ein ganz brauchbares "Ding" - wenn auch nicht direkt auffindbar. Tatsächlich, es ist ein Konzept, ein Begriff, mit dem wir umgehen, bzw. umgehen müssen. Aber mehr ist es eben nicht.

Aus diesem "Ich"-Konzept so etwas wie eine Seele zu machen, das ist meinem Empfinden nach zu weit gegangen. Wie es zur Vorstellung kommt, die man "Ich" nennt, haben wir doch ausreichend heraus gearbeitet. Die Seele analysieren, das machen wir ein anderes Mal. Heute begnügen wir uns damit, das, was wir mit "Ich" bezeichnen, zu untersuchen.

Weiter aber nun mit dem "Selbst". Das Selbst entsteht in ganz logischer Weise aus der Vorstellung des "Ich". Das "Selbst" ist also das Ergebnis der Reflexion vom "Ich" ausgehend. Klar gibt es die Aussage "Ich selbst", was aber nichts anderes ist, als ein eben so reflexiver Begriff. Ein weiterer Begriff demnach. Ob bewusst oder unbewusst, wir suhlen uns zumeist in diesem Begriff, unter dem Wahn von "ich selbst". Warum wohl? Eben aufgrund unserer Wahrnehmung. Erst sagt man "da ist Wahrnehmung", dann "ich nehme wahr" und dann reflexiv "ich selbst nehme doch wahr, wer sonst". Der letzte Zusatz ist der bedeutsamste: "Wer sonst?" Die Frage nach der Person erhebt sich wie ein monumentales Bergmassiv. Der Himalaya ist ein Klacks dagegen. Wer wenn nicht ich? Eine derart überflüssige Frage ist dem, der mal gründlich darüber nachdenkt, sicher noch nie in den Sinn gekommen. Die Frage nach dem Selbst ist so alt wie die Menschheit. Die bisher entstandenen Erklärungen sind allerdings nicht ganz so vielfältig, wie wir wissen. Am einfachsten und wohl auch am bequemsten ist es, anzunehmen, dass es da etwas gibt, was man separat von sich als ein solches "Ding" bezeichnen kann. Die Seele ist entstanden. Etwas, was am besten unveränderlich, im Idealfall, ewig, besteht, bestehen wird. Man glaubt nur allzugern an das, was man sich wünscht. Wie kann etwas, was bedingt entstanden ist, ewig sein? Unveränderlich? Wenn die Seele, wenn es denn so etwas gäbe, unveränderlich ist, dann kann diese ja weder rein noch unrein sein, kann demnach weder befleckt noch geläutert werden usw. Ewig bedeutet unveränderlich. Etwas, was sich aber verändert, KANN nicht ewig sein. Der Buddha bezeichnet solch eine Lehre als Narrenlehre:
"Ihr Mönche, wenn es ein Selbst gäbe, würde es dann etwas geben, das meinem Selbst gehört?" - "Ja, ehrwürdiger Herr." - "Oder, wenn es etwas gäbe, das einem Selbst gehört, würde es mein Selbst geben?" - "Ja, ehrwürdiger Herr." - "Ihr Mönche, da ein Selbst und das, was einem Selbst gehört, nicht als wahr und gegeben aufgefasst werden, ist dann diese Grundlage für Ansichten, nämlich 'Die Welt und das Selbst sind das selbe; nach dem Tod werde ich unvergänglich, dauerhaft, ewig, nicht der Veränderung unterworfen sein, ich werde so lange wie die Ewigkeit überdauern' - wäre das nicht eine ganz und gar und vollkommen törichte Lehre?" - "Was könnte es sonst sein, ehrwürdiger Herr? Es wäre eine ganz und gar und vollkommen törichte Lehre."
(Zitat: M 22,26 - Aber lesen Sie bitte weiter!)

Tut mir leid, Ihnen das so schonungslos gesagt zu haben, aber Diplomatie ist leider nicht gerade mein Hobby. Ich - oder mein Ich - arbeiten daran.

Jetzt zum dritten "Ding", das "Meine". Ganz nüchtern gefragt, "Was ist meine?" Was gibt es, was man als "Mein" bezeichnen könnte? Materiell gesehen gibt es da schon gewisse Sachen, aber gehen wir doch mal tiefer. Wenn alles, was es gibt eben durch Bedingungen entstanden ist, sich ständig flusshaft verändert, unbeständig ist, kann man davon sagen, "Das ist mein?", "Das gehört mir?".

Besitzansprüche sind es, das Habenwollen ist es, kurz, die Gier ist es, worauf basierend wir sagen, das es uns gehören würde. Gehen wir doch mal zurück zu unserem Körper. UNSER Körper, MEIN Körper. Wie witzig! Wenn dieser Körper mein wäre, mir gehören würde, so könnte ich doch sagen mache dies, mache jenes, sei gesund, verändere dich nicht usw. Aber weil das nicht funktioniert, weil der Körper ja trotz allem altert, krank wird und letztendlich auch absterben wird, eben deshalb KANN ich nicht sagen, "Das ist mein Körper." Wenn wir so sprechen, sollten wir uns bewusst sein, dass dies nur eine bloße Phrase ist, Umgangssprache. Tatsächlich gehört uns gar nichts, wie im Dhammapada, einer Verssammlung so schön steht: [Vers 62]
"Ich habe Kinder, habe Geld.", so sorget sich der dumme Mensch.
Nicht mal 'ne Seele hat man selbst. Wie dann gar Kinder oder Geld?

Wäre es da nicht angebracht, alles stehen und liegen zu lassen, denn es gibt ja doch nichts, was einem irgendwie gehört? Ja es gibt sie, die Aussteiger. Es gibt auch Menschen, die sich von allem abwenden, was es gibt. Und es gibt durchaus darunter Menschen, die damit glücklich und zufrieden sind. Warum auch nicht? Was lehrte uns der Buddha? Den Mittleren Weg. Also bleiben wir mal ganz locker. Betrachten wir die Dinge einfach so wie sie sind. Fakt ist nun mal, dass wir etwas empfinden, was wir als "ich" bezeichnen. Weiterhin ist es auch ein Fakt, dass es so etwas wie die "Welt" gibt. Dass alles bedingt entstanden ist, ist auch ein Fakt. Weiterhin, dass sich alles, ob wir es wollen oder nicht, verändert. Dass dem zu Folge alles existierende letztendlich unzulänglich ist, ist ein logischer Schluss. Entscheidend ist aber, wie wir mit eben jenen Fakten umgehen. Was wir daraus machen. Dem einen ist Weltflucht das Mittel der Wahl, der andere entscheidet sich dazu, zu glauben, was er empfindet oder was ihm andere erzählen. Das ist jedem seine eigene Sache. Da möchte ich mich nicht einmischen. Entscheiden Sie selber, was für Sie am besten ist. Glauben oder Wissen. Ein Wissen, welches aus der Erkenntnis heraus entstand, dass die Dinge meist nicht so sind, wie sie uns erscheinen. Aber um zu solch einer Erkenntnis zu gelangen nützt es uns wenig, die zig tausend Bücher zu lesen, die es gibt. Wir müssen etwas tun, um Erkenntnisse zu erlangen. Und was?

Das ist ein anderes Thema. Heute wollte ich "nur" ein wenig von "Ich", "Selbst" und "Mein" erzählen. Tut mir leid, wenn Sie nicht so sehr glücklich damit sind. Schenken Sie meinen Worten bloß keinen Glauben. Das hilft weder Ihnen, noch nützt mir das. Aber Sie können sich ja damit beschäftigen, darüber meditieren, kontemplieren. Vielleicht können Sie ja dann ein paar meiner Ausführungen nachvollziehen. Mag sein, Sie erfahren, dass es gut ist, zu wissen, dass es keine Seelensubstanz gibt. Kann sein, Sie empfinden schmerzlich diesen Verlust. Was auch immer passiert, seien Sie vorsichtig. Prüfen Sie nach. Fragen Sie, hinterfragen Sie. Am besten ALLES. Das "Ich", das "Selbst" und das, was "Mein" ist. Fragen Sie immer "Wer?". "Wer fragt da?", "Wer will da?" "Wer empfindet Begehren?", "Wer empfindet Wut, Hass, Neid usw.?"

Man darf gespannt sein, WER Ihnen antwortet.

 

Ehre Ihm, dem Erhabenen!

 


 

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