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Merkwürdiges aus dem Pāli-Kanon

Teil 2

 

Ein Vortrag von

Santuṭṭho

vom 30. März 2008

Die Ashoka-Säule in Lumbinī
Interessanterweise ist der Geburtsort des historischen Buddha aber IM daneben stehenden Tempel und nicht an der Säule

 

Wer von Ihnen den ersten Teil der "Merkwürdigkeiten aus dem Pāli-Kanon" mitbekommen hat, dem wird nicht neu sein, dass es sich nicht um Seltsame Dinge handelt, sondern um "Merkwürdiges", und das sollte wort-wörtlich verstanden werden, nämlich als "des sich Merkens würdig", also "würdig, sich das zu merken". Des weiteren ist mit diesen Merkwürdigkeiten nicht beabsichtigt Kritik oder Polemik zu betreiben, sondern soll vielmehr Ihr Interesse geweckt werden, sich mit der ursprünglichen Lehre des Buddha, dem Dhamma also, und weniger mit dem, was daraus gemacht wurde, zu befassen.

Zuerst eine kleine Zusammenfassung des ersten Teiles, um Ihnen zu erklären, um was es geht:

Die meisten unter uns haben einen mehr oder wenig guten Einblick in das, was uns als Pāli-Kanon bekannt bzw. überliefert ist. Dennoch hier in Kürze nochmals ein grober Überblick:
Unter dem Begriff Ti-Piṭaka, also Drei-Korb, sind die buddhistischen Texte, die Lehrreden, uns überliefert. Der Pāli-Kanon wird in drei Teile gegliedert. 1. Vinaya-Piṭaka, die Vorschriften der Ordinierten; 2. Sutta-Piṭaka, die eigentlichen Lehrreden; und 3. Abhidhamma-Piṭaka, die so genannte höhere Lehre, die Scholastik sozusagen.

Als einzelne Merkwürdigkeiten wurden folgende Punkte genannt:
- der nunmehrige Buddha hat sich wochenlang dem Genuss der Tatsache seiner Erwachung hingegeben
- die erste Lehrrede, mit der der Buddha tatsächlich das Rad der Lehre in Gang setzte
- Buddha's allererste Worte
- die erste vom Buddha erlassene Regel
- "die Feuerpredigt"
- der Buddha tadelte tatsächlich, er kritisierte nicht bloß
- das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler

Heute sollen Ihnen weitere, durchaus interessante Merkwürdigkeiten präsentiert werden:
erstens geht es um das Vortragen der buddhistischen Lehrtexte:
In der angereihten Sammlung (Aṅguttara Nikāya III,209) können wir folgendes lesen:
Zitat: Wer die Lehre in gedehntem, singendem Tone vorträgt, hat fünf Nachteile zu erwarten. Welche fünf? Selber verstrickt er sich in seine Stimme; auch andere verstricken sich in seine Stimme; die Hausleute werden unmutig darüber und sagen: "Genau wie wir singen, so tun es ja auch diese Asketen!"; Wer auf den Tonfall bedacht ist, dessen geistige Sammlung wird unterbrochen; sein Anhänger aber ahmen seinem Beispiel nach.

Dieser Lehrspruch hat merkwürdigerweise keinen Eingang in die Ordensregeln gefunden, obwohl doch in den Kreisen der gelehrten Buddhisten so viel Wert auf hohe Standards gelegt wird - - - seeeehr merkwürdig.

Wenn wir nun mal ganz ehrlich uns selber gegenüber sein wollten (und das sollten wir!), so werden wir in den allermeisten Fällen feststellen, dass es uns gefällt, wenn da jemand mit schöner Stimme und melodisch rezitiert. Ein Dilemma tut sich auf. Gerade in der buddhistischen Zeremonie, der Pūjā, werden einige Texte rezitiert - und das nicht in monotonem Tonfall. In der Lehrrede steht: "wer die LEHRE in singendem Tonfall vorträgt", der habe gewisse Nachteile zu erwarten. Stellt sich die Frage: Was ist die Lehre? Ist die buddhistische Andacht (Pūjā) Lehre? Dann sollte diese nicht in singender Weise vorgetragen werden. Ist Pūjā keine Lehre, so fragt sich, warum es dann überhaupt vorgetragen wird. Hoffentlich mache ich mich mit dieser Art Fragen nicht noch unbeliebter als ich ja eh schon bin... ---

Eine Antwort kann ich Ihnen allerdings nicht geben. Zu sehr ist Tradition und Kultur in das, was einst der Buddha lehrte, hinein geflossen, hinein gemischt worden. Das bleibt nach über 2500 Jahren eben nicht aus. Mein ganz persönlicher Tipp: Sehen sie die Sache ganz locker. Entscheiden Sie für sich selbst, was Ihnen gut tut, was Ihnen nützlich ist. Aber entscheiden Sie weise. Nehmen Sie nichts ungeprüft in sich auf. Für den einen mag es angenehm sein, Texte vorgesungen zu bekommen, um zur Ruhe zu finden. Das ist doch nichts Schlechtes. Andere wiederum fühlen sich durch Gesang genervt. Das ist schon eher ein unangenehmer Geisteszustand. Das Rezitieren der Lehrreden hat nachweislich den Effekt der Sammlung des Geistes. Also wiederum nichts Negatives. Aber es geht um den Inhalt der Rezitation, nicht um die Art und Weise. Achten wir also auf die Worte statt auf die Melodie. Versuchen wir zu verstehen, was da vorgetragen wird. Lassen wir es uns doch mal übersetzen. Fragen wir ganz einfach nach. Daran ist nichts Verwerfliches, keine Kritik, wovor so viele Buddhisten offenbar Angst haben. Wenn wir dann die Texte in Übersetzung hören, dann können wir wahrscheinlich besser entscheiden, was wir uns annehmen - und was nicht.

Damit sind wir auch schon bei der zweiten, einer recht materielleren Merkwürdigkeit: das Münzsystem:
Es gibt da ganz offensichtlich diverse Unstimmigkeiten zwischen der Numismatik, welche uns gewisse Beweismittel aus Geschichte und Archäologie verdeutlicht und dem Pāli-Kanon, wo manche Stücke entweder anders oder überhaupt nicht beschrieben werden.

Im Pātimokkha, dem Hauptregelwerk der buddhistischen Mönche finden wir folgenden, sehr wichtigen Passus:
2. Welcher Mönch auch immer aus dem Dorf oder aus dem Wald, etwas Nichtgegebenes nimmt, mit der Absicht es zu stehlen, und dieses Gestohlene wäre von solchem Wert, dass die Regierungsgewalten einen Räuber verhaften und ihn entweder prügeln, fesseln oder verbannen würden: "Du bist ein Räuber, du bist ein Tor, du bist ein Idiot, du bist ein Dieb!" - dieser Mönch, der solch etwas Nichtgegebenes nimmt, auch der ist zu Fall gekommen und von der Gemeinschaft ausgeschlossen.
Im Mahāvagga steht die ältere, die wohl ursprüngliche Version davon:
Ein vollordinierter Mönch soll Nichtgegebenes, wie ein Dieb, nicht nehmen, nicht einmal einen Grashalm. Welcher Mönch wie ein Dieb nimmt, ist kein Asket, kein Sohn aus dem Sakyageschlecht. Wie ein welkes Blatt, abgelöst vom Stängel nicht wieder grün werden kann, ebenso ist ein Mönch, der wie ein Dieb Nichtgegebenes nimmt, (nämlich) einen Pāda, oder den Wert eines Pāda, oder mehr als einen Pāda, kein Asket, kein Sohn aus dem Sakyageschlecht. Dies soll von euch, so lange ihr lebt, nicht getan werden.

Hm. Was ist ein Pāda? Was ist der Wert eines Pāda? Aber weitaus wichtiger ist, wie ist dieser Wert heutzutage umrechenbar? Darf man heute stehlen, so viel man mag, weil es ja hier keinen Pāda gibt? [Einschub gestriger Besuch im Museum Dahlem: die Mitarbeiterin fragte mich genau das, nämlich, ob ein Ordinierter etwas klauen dürfe, was weniger als ein Pāda wäre.] Die Aussage der Regel besagt eigentlich ganz deutlich: "Nicht einmal einen Grashalm." Dies ist sicher in ethischer Sicht gemeint. Materiell jedoch wäre rein rechnerisch der tatsächliche Wert eines Pāda relevant. Der damalige Wert oder der heutige? Tja, was ist heute ein Pāda wert? Oder rechnen wir die Kaufkraft des Pāda auf die heutige Zeit um? Machen wir es uns nicht zu kompliziert: Sobald ein Beamter wegen des geklauten Wertes sagen kann, dass da einer ein Dieb sei, dann ist der Tatbestand "Diebstahl" erfüllt, sodass dieser Mönch keiner mehr ist. Das sich aber hier anschließende Problem ist aber, dass ein Geständnis des Täters vorliegen muss, um aus dem Orden ausgeschlossen zu werden.

Zurück zum Pāda:
Was sagt die Numismatik (Münzkunde)? Nach meinen bisherigen Recherchen folgendes:
Richtiges so genanntes Geld, so scheint es, trat wahrscheinlich nicht vor der Zeit des Buddha (6. Jh. BC) in Erscheinung. Es hatte die Form von kleinen Silberbarren, deren schwerste (satamāna) wogen etwa fünfzig Gramm. Diese Einheit wurde unterteilt in eine Hälfte, ein Viertel und ein Achtel. Dann tauchten Silbermünzen auf, diese wogen etwa zwölf Gramm und wurden paṇas oder kārsāpaṇas genannt, und bestanden aus einer Legierung welche fünfundzwanzig Prozent Kupfer und fünfeinhalb Prozent Basismetall enthielt. Die kleineren Münzen waren aus Kupfer und bestanden aus den māsa (ein Sechzehntel eines paṇa) und des kākiṇī (ein Viertel eines māsa). Der niedrigste Wert, ein Achtzigstel eines paṇa, war eher eine Muschel als eine Münze, der kaparda oder kaurī (Cypraea moneta).

Schlussendlich, eine Goldmünze, die den geliehenen Griechisch-Römischen Namen dīnāra trug, erschien in der frühen Ära des Christentums; übereinstimmend mit zeitgenössischen Autoren war diese äquivalent zu achtundvierzig paṇas (oder sechzehn Silberstücke der Gupta-Dynastie). Aber diese Schätzungen sind notgedrungen zweideutig, denn Benennung, Wert und Gewicht wechseln von einem Text zum anderen. Jede einzelne Region, jede Dynastie, jeder König, jeder Stamm, jeder Tempel und auch jedes einzelne Dorf verwendete verschiedene Münzen; und sehr wahrscheinlich ist es auch, dass die Praxis des Tauschens noch lange nach der Einführung von Währung als Mittel des Handels fortbestand. Münzen existierten in einer verwirrenden Vielzahl in Form, Abmessung und Aussehen, rund oder eckig, Embleme, Gottheiten oder königliche Bildnisse, abgekürzte Inschriften usw. aufzeigend.

Laut Pāli-Text und Kommentaren gibt es die folgenden Unterscheidungen:
1 pāda = 5 māsaka {es gab: Goldmāsaka; Silbermāsaka; Kupfermāsaka und sogar Holzmāsaka}; kahāpaṇa quadratische [Kupfer-]Münze = 4 pāda; nīla-kahāpaṇa blauer kahāpaṇa; = 5 Goldmāsaka + 5 Silbermāsaka + 10 Kupfermāsaka; zusammenlegiert, geformt + geprägt

Die hier genannten Begriffe lauten also Māsaka, Pāda und Kahāpaṇa. Im Wörterbuch steht noch eine etwas andere Reihenfolge, ein Wert jeweils die Hälfte des nächst höheren, also: kahāpaṇa, aḍḍha, pāda, māsaka, kākaṇikā und darauf folgend mudhā, "für nichts".

In der Numismatik gibt es Māsa, Paṇa und Kārsāpaṇa. Am einfachsten wäre es anzunehmen, dass es sich nur um einen bloßen Schreibfehler handeln würde, weil ja schließlich Sanskrit nicht mit dem Pāli identisch ist. Aber wenn wir etwas weiter forschen, müssen wir feststellen, dass die Werte der einzelnen Münzen verschieden gestuft sind. So ist im Kanon ein Pāda gleich 5 Māsaka [bzw. laut Wörterbuch nur 2!], während die Numismatik sagt, ein Paṇa sei gleich sechzehn Māsa. Auch behauptet die Numismatik, dass diverse Silbermünzen zu 12 Gramm Paṇa ODER Kārsāpaṇa genannt wurden. Das erweckte meine Neugier. Des weiteren kennt die Numismatik den Wert Kākiṇī, der im Kanon so auch nicht erscheint. Aber vielleicht ist der Wert Kākiṇī entsprechend dem Kākaṇikā? Rechnen wir jetzt den Kahāpaṇa aus, so erhalten wir laut Kanon 4 Pāda, also 20 Māsaka. Eine Differenz von 4 Māsaka. Welche Sorte Māsaka, ist noch nicht einmal erwähnt. Ob Gold-, Silber oder bloß Kupfer. Darf man Sie noch etwas mehr verwirren? Im Museum Dahlem kamen die Begriffe Viṃsatika, Doppel- und Halb-Kārsāpaṇa, sowie ratti zum Vorschein. Die heben wir uns lieber für später auf...

Wie lösen wir nun dieses Rätsel? Meiner unmaßgeblichen Meinung nach ganz einfach: Wir halten uns an den Urtext, also wir setzen die Grenze ethisch beim Nehmen von Nichtgegebenen und materiell, sobald man jemanden als Dieb bezeichnet. Aber verschärfend: wenn die Sache zur Anzeige kommt, also Beamte, der Staatsapparat in einer solchen Sache in Bewegung kommt, dann ist die Grenze deutlich überschritten. Dann dürfte es auch unwichtig sein, ob bei einer rechtmäßigen Urteilsfällung ein Geständnis vorliegt oder nicht. Eine nicht gerade schöne Merkwürdigkeit, aber tatsächlich real existent.

Der Buddha sprach: "Ist Geld zulässig für jemanden, dann sind auch die fünf Sinnenfreuden zulässig für ihn. Und sind die fünf Sinnenfreuden zulässig für ihn, dann soll man mit Bestimmtheit von ihm annehmen: Er hat nicht die Beschaffenheit eines Asketen und nicht die eines Sakyaputta (Sohn des Buddha). Denn, auf gar keinen Fall sage ich, dass man Geld annehmen oder danach suchen soll."

Das bedeutet ganz einfach: Ordinierte und Geld - das passt nicht zusammen. Egal wie man es auch drehen und wenden wollte. Da spielt es auch keine Rolle, ob das Geld in die Hand gegeben wird oder im Briefumschlag steckt. Es gibt bessere Arten, Ordinierte zu unterstützen. Nämlich indem man ihnen hilft, ihre Ordensregeln einzuhalten, hilft man ihnen, das zu verwirklichen, weshalb sie ein spirituelles Leben auf sich nahmen. Und ist Ethik, also Sīla nicht das, was wir Buddhisten als Ausgangsbasis, als Grundlage jeglichen Fortschrittes betrachten und rühmen?

Ein drittes, eben so heikles Thema und äußerst merkwürdig: Die Sāmaṇerī, die Novizin.
Wenn Sie so durch den Pāli-Kanon stöbern, wird Ihnen wahrscheinlich auffallen, dass es zu den männlichen Ordinierten das jeweils weibliche Gegenüber gibt. Heute soll Ihnen aber nicht "Merkwürdiges bezüglich der Geschlechter" dargestellt werden, sondern ein momentan noch ungeklärtes Phänomen. Hoffentlich rufen wir damit nicht Geister herbei, die besser im Verborgenen geblieben wären.

Es geht um die Begriffsreihe Mönch/Novize, bzw. Nonne/Novizin. Im Kanon finden wir folgende Ausdrücke dafür: Bhikkhu/Sāmaṇera und Bhikkhuṇī/Sāmaṇerī. Bis hierher ist alles klar. Aaaaaaaaaaaber: Was bedeutet jetzt Sikkhamāna, die "zu Schulende"? In den Lehrreden wird Sikkhamāna als die Anwärterin zur Bhikkhuṇī bezeichnet. Was ist der Unterschied zur Sāmaṇerī? Wozu dann Sāmaṇerī? Bei den Männern ist der Sāmaṇera der Anwärter auf die Hochordination, der Novize. Wenn es dann die Sāmaṇerī gibt, und laut Text gibt es sie, dann ist der Umfang der hier einzuhaltenden Regeln identisch, also die 10 Regeln (vom Töten von Lebewesen abstehen; vom Nehmen von Nichtgegebenem abstehen; von Unkeuschheit abstehen; von übler Rede abstehen; von den Geist berauschenden Mitteln, abstehen; von Nahrung zu unrechter Zeit abstehen; von Tanz, Gesang, Schaustellungen abstehen; vom Schmücken mit Blumen, Benutzen von Parfüm, Verschönen mit Kosmetika abstehen; vom Benutzen hoher und breiter Betten abstehen; von Gold und Silber annehmen abstehen), sowie die 75 Übungsregeln (Sikkhā). Der Sinn ist hier wie folgt: Das Hinausziehen in die Hauslosigkeit ist der eigentliche Schritt weg vom Weltlichen, der tatsächlich gravierendste. Die Hochordination zum Bhikkhu/Bhikkhuṇī ist dann eine Art Vollendung, eine Art Graduierung. Man könnte sich das in etwa vorstellen wie die Aufnahme an eine Schule und den Abschluss der selben. Aber alle Vergleiche hinken irgendwie, so auch dieser. Nun zur Sikkhamāna: Was soll denn das? Aber auch dieser Begriff stammt aus den Texten. Seltsamerweise aber fundierter in den Zusammenhängen als der Begriff Sāmaṇerī. Die zu Schulende hat "nur" sechs Regeln einzuhalten: die ersten 5 wie auch die Laienanhänger, nur dass Nr. 3, Abstehen von Unkeuschheit zum Zölibat wird, plus Nr. 6, dem Essen nach dem Mittag. Eigentlich recht leicht. Klingt wie "Sāmaṇerī soft". Aber jetzt wird es erst merkwürdig, aber hier im Sinne von unerklärlich, seltsam: Wieso ist die Sāmaṇerī mit 10 Regeln die "aus dem Hause in die Hauslosigkeit Gezogene", aber die Sikkhamāna wird zur Bhikkhuṇī ordiniert? Wer "regelt" von 10 auf 6 herunter, um dann auf 311 Regeln wieder hoch zu fahren? Sehr seltsam. Diverse Recherchen brachten bisher noch kein schlüssiges Ergebnis. Liest man aufmerksam die betreffenden Textstellen, so erscheint es, als wären die Verse, in denen Sāmaṇerī vorkommt einfach stereotyp übernommen, ergänzt worden. Ergänzt zum männlichen Sāmaṇera. Die jeweiligen Begriffe wurden nur ersetzt. Aber warum hat man dann "vergessen", den zu Schulenden als Gegenstück zur Sikkhamāna zu ergänzen? Und wieso nicht von den anfänglichen 6 Regeln beginnend auf die 10 plus 75 Regeln aufzustocken statt herunter zu regeln? Da kann einem schon der Kopf schwirren... Aber vielleicht bin ich mal wieder zu rational, und die Lösung des Problems ist auch gar nicht erforderlich. Denn ich möchte ja nicht zur Sikkhamāna gemacht werden, bin ja schließlich keine Frau. Sollen DIE sich doch kümmern. Was geht mich fremdes Elend an? Tja - und hier berühren wir aber nun tatsächlich ein recht heißes Eisen innerhalb des Ordinierten-Saṅgha: Das Verhältnis zwischen Nonnen und Mönch. Zum einen der deutliche Unterschied in der Anzahl der Ordensregeln: Bhikkhus 227, Bhikkhuṇīs 311. Das alleine weckt schon die Geister der Emanzipation. Aber zwischen Sāmaṇera und Sāmaṇerī besteht offenbar kein Unterschied - merkwürdigerweise. Und dann Sikkhamāna ohne Kontrahent. Nun, wir belassen es erst einmal dabei. Möglicherweise sind Sie schon völlig verwirrt von so vielen Widersprüchlichkeiten. Auch sollten wir versuchen, "die Kirche im Dorf zu lassen", also übertreiben wir es mal nicht. Wir leben im Weltlichen, im Haushälterdasein, da darf es ruhig etwas gemäßigter zugehen.

Sie möchten noch ein weiteres merkwürdiges "Ding" aus dem Pāli-Kanon? Kein Problem.

Wenn man das, was der Buddha lehrt, tatsächlich verstanden hat, so ist Kritik und der Wunsch nach Erklärung von Unklarem kein verwerfliches Handeln, sondern erwünscht. Fordert nicht der Buddha selbst seine Anhänger dazu auf, ihn zu hinterfragen?

Zitat Majjhima-Nikāya Nr. 47 (mittellange Lehrreden):
4. Ein Mensch, der ein Nachforschender ist, der das Herz anderer nicht kennt, sollte den Tathāgata in Hinsicht auf zwei Arten von Zuständen, Zustände, die durch das Auge und durch das Ohr erfahrbar sind, folgendermaßen untersuchen: "Sind im Tathāgata irgend welche befleckten Geisteszustände zu finden, die durch das Auge oder durch das Ohr erfahrbar sind, oder nicht?" Wenn er ihn untersucht, weiß er: "Es sind im Tathāgata keine befleckten Geisteszustände zu finden, die durch das Auge oder durch das Ohr erfahrbar sind."
8. Wenn er dies weiß, untersucht er folgendermaßen weiter: "Hat dieser Ehrwürdige einen guten Ruf erworben und Ruhm erlangt, so dass die Gefahren in ihm zu finden sind?" Denn solange ein Bhikkhu noch keinen guten Ruf erworben und Ruhm erlangt hat, sind die Gefahren in ihm nicht zu finden; aber wenn er einen guten Ruf erworben und Ruhm erlangt hat, sind jene Gefahren in ihm zu finden. Wenn er ihn untersucht, weiß er: "Dieser Ehrwürdige hat einen guten Ruf erworben und Ruhm erlangt, aber die Gefahren sind in ihm nicht zu finden."
9. Wenn er dies weiß, untersucht er folgendermaßen weiter: "Ist dieser Ehrwürdige selbstbeherrscht ohne Angst, nicht von Angst beherrscht, und vermeidet er, in Sinnesvergnügen zu schwelgen, weil er ohne Begierde ist, aufgrund der Vernichtung der Begierde?" Wenn er ihn untersucht, weiß er: "Dieser Ehrwürdige ist selbstbeherrscht ohne Angst, nicht von Angst beherrscht, und vermeidet, in Sinnesvergnügen zu schwelgen, weil er ohne Begierde ist, aufgrund der Vernichtung der Begierde."

Aber jetzt, ab Vers 14, da wird es ja interessant!
14. Ein Schüler sollte sich dem Lehrer, der so spricht, nähern, um den Dhamma zu hören. Der Lehrer lehrt ihn den Dhamma mit seinen immer höheren Ebenen, mit seinen immer erhabeneren Ebenen, mit seinen dunklen und hellen Gegenstücken. Da der Lehrer den Zuhörern auf solche Weise den Dhamma lehrt, kommt der Hörende durch unmittelbares Erkennen einer bestimmten Lehre in eben diesem Dhamma zu einem Schluss über die Lehren. Folgendermaßen ist er voll Zuversicht in Bezug auf den Lehrer: "Der Erhabene ist vollständig erleuchtet, der Dhamma ist vom Erhabenen gut verkündet, der Saṅgha praktiziert gut."
15. Wenn andere diesen Menschen folgendermaßen fragen würden: "Was sind die Gründe des Ehrwürdigen und aufgrund welcher Beweise sagt er: Der Erhabene ist vollständig erleuchtet, der Dhamma ist vom Erhabenen gut verkündet, der Saṅgha praktiziert gut?, so würde dieser Mensch richtigerweise wie folgt antworten: "Hier, ihr Freunde, habe ich mich dem Erhabenen genähert, um den Dhamma zu hören. Der Erhabene lehrte mich den Dhamma mit seinen immer höheren Ebenen, mit seinen immer erhabeneren Ebenen, mit seinen dunklen und hellen Gegenstücken. Da der Erhabene mich den Dhamma auf solche Weise lehrte, kam ich durch unmittelbares Erkennen einer bestimmten Lehre in eben diesem Dhamma zu einem Schluss über die Lehren. Folgendermaßen bin ich voll Zuversicht in Bezug auf den Lehrer: Der Erhabene ist vollständig erleuchtet, der Dhamma ist vom Erhabenen gut verkündet, der Saṅgha praktiziert gut."
16. Wenn durch diese Gründe, durch diese Worte, durch diese Ausdrucksweise bei jemandem Vertrauen in den Tathāgata gepflanzt, verwurzelt und gefestigt wurde, so sagt man, dass sein Vertrauen von Gründen gestützt, in Schauung verwurzelt, stark sei; es kann von keinem Mönch oder Brahmanen oder Deva oder Māra oder Brahma oder irgend jemandem in der Welt zerstört werden. Auf diese Weise findet eine Untersuchung des Tathāgata in Einklang mit dem Dhamma statt, und so wird der Tathāgata in Einklang mit dem Dhamma gründlich untersucht."

Was will uns der Dichter damit sagen?
Wahrscheinlich, dass wir nichts ungeprüft annehmen sollen. Nichts einfach glauben, sondern selber nachforschen, die Lehre ergründen. Das ist übrigens eines der Sieben zur Erleuchtung erforderlichen Dinge (Bojjhaṅga). Aus der Lehrergründung und weniger aus dem Glauben entsteht dann Vertrauen. Ein gesundes Vertrauen. WISSEN. Bedenken Sie aber bitte auch, dass hier mit Lehrergründung nicht das bloße Bücherstudium gemeint ist. Versuchen Sie das, was in den vielen Texten steht, im täglichen Leben wieder zu entdecken. Praktizieren Sie. Seien Sie ganz pragmatisch. Seien Sie in dieser Hinsicht wie Siddhārtha Gotama, der Buddha selber.

Wir wünschen Ihnen einen allzeit wachen und neugierig fragenden Geist in Bezug auf die Lehre des Buddha.

Wie sagte der Buddha doch noch:
... übt, dass ihr später nichts zu bereuen habt.

 

Fortsetzung folgt.


 

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