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Ruhe haben wollen.
 

Ein Vortrag von

Santuṭṭho

vom 20. April 2008

Darstellung des Buddha als Symbol

Museum Mathura


Lassen Sie mich doch bloß in Ruhe!

Sie immer mit Ihrem ... usw.

Wer kennt ihn nicht, diesen Spruch? Wer von Ihnen findet es als belästigend, beunruhigend, von anderen "gestört" zu werden. Was ist denn das eigentlich, diese "Störung".

Tut mir leid, dass Ihnen jetzt etwas Beunruhigendes zu Ohren kommt, nämlich: Selber schuld!

Ja, Sie haben ganz richtig gehört: Sie sind selber schuld. Selber schuld daran, dass Sie beunruhigt sind, sich gestört fühlen und überhaupt. Warum sind Sie denn hier? Auch selber schuld.

Sie dürfen jetzt wieder lächeln. Es kommt die Auflösung des Rätsels.

Inwiefern da wohl jeder "selber schuld" ist, das ist das eine Thema, nämlich die Frage nach dem Wieso und Warum, eben Karma. Die meisten unserer Besucher stellen eben jene Frage immer und immer wieder: "Wie ist das mit dem Karma zu verstehen?" Da die karmische Frage heute nicht das Thema sein soll, hier nur ganz kurz zwei Sätze dazu: Erstens zählt Karma zu den Vier unermesslichen Dingen, ist also nicht bis ins allertiefste ergründbar; und zweitens ist es ganz einfach und in Kürze so, dass wir jetzt das erleben, was wir früher, also in unserer Vergangenheit (wann auch immer!) selber in Gang gesetzt haben, und so wie wir jetzt damit umgehen, das wird unsere Zukunft. Klingt ganz simpel, ist es wohl aber nicht ganz. Belassen wir es vorerst mal dabei.

Ruhe. Was ist das eigentlich? Schauen wir uns das einmal näher an. Was verstehen Sie unter Ruhe?
(an der Tafel werden die Antworten notiert: ... ... ...)

Ruhe ist also unterscheidbar in INNERE und ÄUSSERE. Ebenso auch die Unruhe - logischerweise. Nehmen wir zuerst mal die äußeren Faktoren unter die Lupe, welche da sind: Geräusche bis hin zum Lärm, Geschäftigkeit, Stress, Sorgen, Naturerscheinungen, andere Menschen, "die lieben Kleinen", Familie usw. Also leicht zu unterteilen in akustische Unruhe im Sinne von Geräusch und Beunruhigung der anderen Sinnesorgane. Demnach beruht die Unruhe auf Wahrnehmung. Kontakt ist der Auslöser. Und Kontakt entsteht eben wenn ein Sensor, also ein funktionierendes Sinnesorgan mit dem entsprechenden Objekt in Berührung kommt. Bis hierher ist es ganz einfach. Stimmt's? Mit dem Kontakt entsteht zwangsläufig das dazu gehörende Bewusstsein. Dies wird gefühlt, also Gefühl entsteht. Dieses noch völlig neutrale Gefühlte wird nun innerhalb von Sekundenbruchteilen bewertet, benannt, eingeschätzt, mit früher Gefühltem und Bewertetem verglichen usw. Und jetzt erfolgt eine Reaktion darauf. Entsprechend unserer Neigung, Stimmung, Laune, also je nachdem was in unserem Geist für eine Mischung von Zu- oder Abneigung und Nichtwissen vorherrscht, reagieren wir. Eben entweder mit Zu- oder Abneigung zu dem Gefühlten. Oder aber wir bleiben neutral. Was man wiederum untersuchen könnte bezüglich des Unwissenheitsfaktors oder ob man bewusst neutral, also gelassen bleibt. Was nun ist dann Ruhe bzw. Unruhe? Eine RE-Aktion. Ein Reagieren auf vorher stattgefundenen Sinneskontakt. Das einfachste wäre nun, will man Ruhe, eben jenen Sinneskontakt zu unterbinden, zu vermeiden. Das funktioniert tatsächlich - aber leider nur innerhalb gewisser Grenzen. Selbstverständlich ist es angenehmer dort zu sein, wo kein als Belästigung empfundener Lärm herrscht. Aber wir wollen - und müssen - ja mit dem leben, was wir vorfinden. Träume sind hier tatsächlich nur Schäume. Und aufschäumen tun wir eh schon viel zu viel. Und gerade eben dieser Schaum ist sie, die INNERE Unruhe. Am Sinneskontakt also können wir relativ wenig machen. Wie wir damit umgehen, darin liegt der Schlüssel. Oder der berühmte Hase im Pfeffer. Ist innen Ruhe, dann stört Außen kaum. Ist außen Ruhe, ist das ein förderlicher Umstand zur Erlangung innerer Ruhe - ein Kreislauf. Ein ÜBUNGS-Weg! Wir können uns darin üben, Ruhe zu finden, Ruhe zu haben. Und zwar indem wir uns darin üben nicht mehr auf alles, was auf uns einstürzt, zu reagieren. Indem wir uns darin üben nicht länger im Außen Ruhe finden zu wollen, sondern INNEN.

Wie soll denn das gehen? Hier sind wir ganz genau beim heutigen Thema angelangt: "Ruhe haben wollen."

Viele der Ruhe Suchenden kommen vor lauter suchen gar nicht zum finden. Sie sind derart angestrengt beim suchen, dass sie gar nicht mehr mitbekommen, dass ihre angestrengte Suche ein Zurruhekommen gar nicht zulässt. Ein ganz genialer Spruch wäre hier angebracht: "Let it be." Lass es sein, das Suchen. Hör auf zu suchen, und du wirst Ruhe finden. Das muss man versuchen, muss es üben, trainieren. Aber hier ist die viel gepriesene und oft missverstandene Achtsamkeit gefragt.

Noch ein Mal: Was verursacht "Unruhe"? Unser eigener Geist. Im eigenen Geist entsteht das, was wir als Unruhe empfinden, bezeichnen. Wo sollten wir dann dem zu Folge versuchen, Ruhe "herzustellen"? Ganz richtig: INNEN. Aber wie?

Nun sind wir dort angelangt, wo die typisch westliche Rastlosigkeit (übrigens eine unangenehme Art von Unruhe!) ein sofortiges, natürlich positives Resultat erwartet. Instant. Pille geschluckt, sofort der Wunschzustand da. Es gibt sicherlich Pillen, die das bewirken können, aber wir sind uns doch wohl einig, dass es heute und hier nicht um die chemisch hervorgerufene Ruhe geht. Der Schlaftablettenverbrauch ist hoch genug. Dr. Paul Dahlke nannte die Rastlosigkeit eine Begriffskrankheit. Also eine Krankheit, welche im Geist durch falsche Beurteilung, Bewertung entsteht. Womit wir erneut beim Thema Achtsamkeit sind.

Wie es aussieht, scheint die Achtsamkeit eine Grundvoraussetzung für innere Ruhe zu sein. Aber um Achtsamkeit zu entwickeln, um überhaupt erst einmal zu verstehen, was Achtsamkeit ist, dazu bedarf es etwas Vorarbeit. Vorarbeit im Sinne von "Was will ich überhaupt?" Man sollte also Prioritäten setzen. Die Wertefrage erhebt sich. Was ist mir mehr wert: meine Arbeit, die mich auffrisst, mich auslaugt, verschleißt oder das bisschen Gesundheit, was noch nicht durch den Stress kaputt gespielt ist. Was nützt mir all das zusammengeraffte Geld, wenn ich gesundheitlich am Ende bin? Da fällt mir ein Vers ein: "... und hinter Dir da grinst der Tod: kaputt geschuftet du Idiot."

Unruhe ist eine Form von Dukkha, der Unzulänglichkeit, Leiden. Diese Form des Leidens kann ganz subtil sein, aber auch massiv bis hin zum Sterben. Also nehmen Sie Unruhe nicht auf die leichte Schulter. Man kann sich an den Zustand der Unruhe, des unruhig Seins gewöhnen, grad wie an Schmerzen, aber man muss es nicht. Man kann sehr wohl etwas tun - oder besser lassen, um wieder zur Ruhe zu kommen.

Am einfachsten ist das Abschalten. Diesen Begriff kennen wir alle. Die einen setzen sich in den Sessel und dösen, andere schalten die Glotze an und dösen, wiederum andere machen sich ein paar Biere auf und verschlingen tütenweise Chips dazu usw. Dösen ist das, was auch viele Menschen nur noch können, da sie ausgebrannt sind, geistig fertig, kaputt gespielt. Selbstverständlich sind immer die anderen daran schuld, im besten Fall die äußeren Umstände. Wie wir aber bereits gehört haben, ist entscheidend, was INNEN abgeht, da man ja das Äußere kaum ändern kann.

Jetzt werden wir mal etwas konstruktiver:
Wenn Unruhe eine Form von Dukkha ist, und das ist es ja wohl zweifelsfrei, dann muss es bedingt entstanden sein, denn alles, was existiert, ist bedingt entstanden, es muss also eine oder mehrere Ursachen dafür geben. Bis hierher waren wir schon mal gekommen. Dukkha ist ganz einfach die Kluft zwischen Wunsch und Wunscherfüllung. Demnach empfindet eben auch jeder unterschiedlich, also ganz individuell Unzulänglichkeit, Leiden. Am einfachsten ist es nun, das, was Dukkha verursacht, also in diesem Falle den Wunsch nach Ruhe, auszuschalten. Kein Wunsch nach Ruhe, und schon kein Dukkha mehr. Nein, so einfach geht das nicht. Nicht der Wunsch nach Ruhe ist es, was uns unruhig werden lässt, sondern unser Wunsch nach möglichst angenehmen Sinneseindrücken lässt uns denen hinterher jagen. Der Wunsch nach Sicherheit und Wohlstand lässt uns mehr Geld begehren, als eigentlich nötig. Geld kann man ja bekanntlich nie genug haben. Selbstverständlich ist es korrekt und ethisch lobenswert, einen Lebensunterhalt zu pflegen, sich nicht ins soziale Netz fallen zu lassen. Aber je mehr materielle Wünsche ich habe, um so mehr muss ich ackern, um mir diese erfüllen zu können. Und habe ich dann den einen oder anderen Wunsch erfüllt, so stehen schon hundert weitere in der Warteschlange. Es ist wie verhext. Und schon wieder kommt hier das Wort "Achtsamkeit" ins Spiel. Aber auch diesmal lassen wir es (noch) unbeachtet.

Zurück zur Ursache von Dukkha. Zusammengefasst also ist unser ständiges Wünschen, Wollen, Habenwollen die eigentliche Ursache für unser Leiden an Unruhe. Auf der einen Seite der Druck, der Stress, den Lebensunterhalt sich zu verschaffen (außer bei denen vielleicht, die sich im sozialen Netz sonnen), und auf der anderen Seite der Wunsch nach Stressfreiheit, Sorglosigkeit, Ruhe, Frieden. Das Wort Frieden ist äußerst bemerkenswert! Es steckt in der Zufriedenheit drin. Hier tut sich nun ein kleines Türchen auf, um Ruhe zu erlangen: Zufriedenheit. Womit zufrieden? Mit dem, was man hat. Mit den vier zugrundeliegenden Bedürfnissen: Nahrung, Kleidung, Wohnung und Medizin. Der Buddha lehrte uns den Mittleren Weg. Übertriebene Askese ist genau so hinderlich wie ein Schwelgen im Luxus. Nun ist es aber sehr persönlich, was da jemand als Luxus empfindet und was als unbedingt erforderlich. Hier ist es ratsam, auch mal den Blick über den allzuoft ungesehenen, unbemerkten Tellerrand zu wagen. Die Erfahrung, dass man auch mit sehr wenig auskommen kann, zufrieden sein kann, hat schon manchen Menschen zur Ruhe, zur Zufriedenheit, zum Frieden verholfen. Demnach wäre Bescheidenheit eine Möglichkeit, sich Ruhe zu verschaffen. Nun, ganz so einfach ist es nicht, wie einige von uns wissen. Aber weiter. Es gibt demnach die Möglichkeit, Dukkha zu überwinden. Die so genannten Buddhisten wissen, was jetzt kommt. Jawohl, der Edle Achtfache Pfad. Ganz genau maßgeschneidert. Wie die Buddhalehre, der Dhamma überhaupt exakt maßgeschneidert ist. Ganz kurz also der Achtpfad: Rechte Erkenntnis, Rechte Gesinnung, Rechte Rede, Rechtes Tun, Rechter Lebensunterhalt, Rechte Anstrengung, Rechte Achtsamkeit und Rechte Konzentration. Das ist schon alles. Und WO findet all das statt? INNEN? Haben wir das erkannt, ist schon ein Stück Rechte Erkenntnis entstanden. Mithilfe dieser Rechten Erkenntnis gelangen wir automatisch zur Rechten Ansicht, nämlich dass wir selber etwas tun oder besser lassen können, um Dukkha zu überwinden. Und was? Nun kommt die Ethik ins Spiel: Rechte Rede, Rechtes Tun und der Rechte Lebensunterhalt. Wieso denn das? Ja ganz einfach: Wenn wir uns ethisch korrekt verhalten, dann haben wir automatisch ein ruhiges Gewissen. Gewissensruhe ist ein sehr kostbarer Schatz. Betrachten wir demnach unsere Arbeit, unseren Lebensunterhalt und finden ethisch nicht vertretbare Erscheinungen, so wäre es besser, sich darum zu bemühen, dies zu ändern. Geht das nicht, so sollte man an einen Arbeitsplatzwechsel denken. Klingt hart bei dem heutigen Arbeitsmarkt, aber es ist so. Hier sei nochmals auf die Prioritäten verwiesen. Zum Komplex der Rechten Rede sei angemerkt, dass man, je mehr Worte man tagüber bewältigt, um so mehr Geplapper im Geiste nachschwingen hat. Dem zu Folge sollte man sich eben auch sprachlich beherrschen. Beim Rechten Tun ebenso. Je geschäftiger man ist, um so unruhiger ist man auch. Das ist ganz logisch. Schalten wir öfters mal die Frage dazwischen "Muss das sein?", so ersparen wir uns möglicherweise eine ganze Menge Unruhe. Probieren Sie es einfach aus. Es wird eine Weile dauern, bevor Sie die Früchte ernten können, aber ganz klar ist jedenfalls, dass Sie, je weniger Sie auf sich einströmen lassen, um so weniger zu verarbeiten haben. Ist ja auch logisch. In der Pāli-Sprache nennt man den ersten Schritt auch Viveka, das Sichzurückziehen. Abgeschieden von den vielen Sinnenreizen ist es ganz natürlich, dass man zur Ruhe kommt. Es ist so wie Urlaub. Man reist woanders hin, um sich dort, möglichst weit weg von hier, zu erholen. Was machen die meisten aber im Urlaub? Sie ersetzen die bisherige Geschäftigkeit durch andere Umtriebe. Da muss dies angesehen werden, da muss jenes erlebt werden, ein Nervenkitzel nach dem anderen. Nur wenige lassen die im buddhistischen Sinne nicht vorhandene Seele baumeln. Noch ein Mal ganz kurz: erst die körperlichen Aktivitäten beruhigen, den Körper zur Ruhe bringen, dann sprachlich beruhigen, dann beruhigt sich auch das Denken - und mit etwas Übung kehrt dann auch richtig Stille ein.

Ruhe.

Frieden.

Wenden wir uns nun dem eigenen Geist zu, dem Ort, an dem die Unruhe herrscht bzw. wir sie herrschen lassen.

Vielleicht wäre es gut, erst einmal ganz klar bewusst uns diesen Zustand zu vergegenwärtigen. Betrachten wir uns doch einmal ganz genau. Wie fühlt sich das an, was wir "Unruhe" nennen? Wo genau spüren wir das? Eher im Bauchraum? Oder im Kopf? Ist Unruhe das selbe wie Aufgeregtheit? Oder nur eine Art Erregungszustand? Und so weiter. Ehe wir all das untersucht haben - da ist meist schon Ruhe eingekehrt. Was ist da passiert? Die Aufmerksamkeit wurde auf uns selber gerichtet. Konzentration geübt. Dinge werden beim Namen genannt. Die Phänomene werden so gesehen, wie sie tatsächlich sind. Reines Beobachten setzt ein. Erkenntnis kann entstehen. Der gesamte Achtfache Pfad kommt in Gang. Etwas besseres können wir gar nicht tun. Weder für uns, noch für andere. Haben wir in uns selbst erkannt, was Ursache und was Wirkung ist, so haben wir einen wichtigen Aspekt des Dhamma realisiert: das bedingt abhängige Entstehen. Die ganze (Zwölfer-)Kette erspare ich Ihnen hier. Das können Sie in vielen gelehrten Schriften selber nachlesen.

Ein paar Hinweise aus einem Aufsatz des Ehrwürdigen Nyanaponika über das Reine Beobachten - nur allzugerne würde ich Ihnen hier den gesamten Aufsatz darbringen, derart gut und wichtig ist dieser:

Reines Beobachten als allgemeine Achtsamkeits-Übung kann während des normalen Tagesverlaufes bei jeder sich bietenden Gelegenheit im Rahmen der jeweils gegebenen Möglichkeiten geübt werden. Auch hier soll das Hauptgewicht auf den eigenen körperlichen und geistigen Vorgängen ruhen. Doch auch die gelegentliche, auf die der Beobachtung zugänglichen Vorgänge anderer Personen wird von großem Wert sein. Die Absicht und das erreichbare Ergebnis ist hier eine allgemeine Steigerung in der Schärfe und dem Radius der Achtsamkeit. Allgemeine Aufhellung, Weitung und Vertiefung des Bewusstseins, sowie eine verstärkte Konzentrationsfähigkeit sind die Folge. Gefördert wird ferner auch die Selbstkontrolle in jeder Art. Der Erkenntnis-Zuwachs wird ebenfalls nicht unbeträchtlich sein. Diese Ergebnisse sind offenkundig auch für rein weltliche Zwecke, d.h. außerhalb des überweltlichen Erlösungszieles der Buddha-Lehre von größtem Wert.

Besonders im Westen mit seinem Aktivitätsdrang könnten nun manche fragen: "Wie kann ein rein passives Beobachten solche Wirkungskraft haben, wie sie ihm hier zugeschrieben wird? Was kann es schon auf sich haben, wenn wir beim Gehen wissen, dass wir gehen oder wenn wir ein angenehmes oder unangenehmes Gefühl als solches feststellen?"

Die beste Antwort wäre freilich, dem skeptischen Frager zu raten, sich nicht durch unsere oder der Buddha-Worte, sondern durch eigene Erfahrung überzeugen zu lassen, also es selber mit der Übung zu versuchen. Doch diejenigen, die den Buddha noch nicht genügend als einen vertrauenswürdigen Führer kennen, werden zögern, sich auf ein solches, wenn auch einfaches und harmloses, ihnen aber doch seltsam erscheinendes Experiment einzulassen, ohne gute Gründe dafür zu sehen.

Richtet man das Reine Beobachten auf sich selber, so zeigt sich als erstes die Ordnungsbedürftigkeit eines großen Teiles unseres Alltags-Bewusstseins und unserer Alltags-Tätigkeit. Diese Notwendigkeit ist aber ohne solche besondere Hinlenkung unseres Geistes durchaus nicht jedem, eher nur sehr wenigen klar, denn die Aufmerksamkeit des Geistes pflegt sich im allgemeinen an die von ihm verfolgten Ziele zu heften, und dem Durchschnittsmenschen fällt es kaum je ein, seine Achtsamkeit auch einmal auf die Beschaffenheit und die Funktionsqualität des eigenen, diesen Zielen nachjagenden Geistes zu richten. Diese Zwecksüchtigkeit ist manchmal so stark, dass sogar die Wahl der rechten Mittel zur Erreichung dieser Zwecke oft gröblich vernachlässigt wird. Für die, vom Zweck-Zentrum aus gesehen, untergeordneten Tätigkeiten bleibt dann natürlich noch viel weniger Aufmerksamkeit und Sorgfalt übrig.

Beim Reinen Beobachten wird nun dem derart vernachlässigtem Geist der Spiegel vorgehalten und was er darin erblickt, wird ihn eindringlich von der Notwendigkeit einer planmäßigen Geistesschulung überzeugen, selbst wenn dieser Geist zuerst nur ihre nächstliegenden praktischen und noch nicht ihre höheren Ziele begreift. Den heilsamen Schrecken, den man bei solchem ersten Einblick oder Anblick erfahren kann, sollte man in sich lebendig halten, als einen Ansporn zu unablässiger Pflege der Schulung.

Der Blick in den Spiegel des Reinen Beobachtens wird zeigen, wie viele auch von diesen wichtigeren Sinneswahrnehmungen unbestimmt, unklar oder krass unvollständig sind, wie viele von ihnen verfälscht sind durch irrige Assoziationen, durch Vor-Urteile oder voreingenommene Gefühlswertungen. Da kann es nicht ausbleiben, dass auch die Urteile, Entscheidungen und Handlungen, die sich auf solche unzuverlässige Wahrnehmungsbilder gründen, abwegig sind und zu Konflikten mit der Wirklichkeit führen.

Weiterhin wird der Beobachter feststellen, wie wenige der ungezählten, während eines Tages begonnenen Gedankengänge zuende geführt werden. Die meisten dieser Gedankengänge finden einen vorzeitigen Tod, sei es durch ihre eigene Schwäche, wegen geringer Konzentration oder durch mangelnden Bekenntnismut zu ihren Konsequenzen.

Alle diese unklaren Wahrnehmungen, diese unentwickelten Gedanken und Gefühle üben, selbst wenn sie sehr schwach sind, in ihrer Summierung doch allmählich einen ungünstigen Einfluss auf die Schärfe der Geistesfunktionen aus. Sind sie aber etwas stärker, dann sinken sie in tiefere Bewusstseinsschichten, aus denen sie in jedem Augenblick wieder auftauchen können. Damit mehrt sich die Unberechenbarkeit und Unzuverlässigkeit künftiger Entscheidungen, Gedanken und Gefühle. Besonders verhängnisvoll ist es aber, wenn mit Vor- und Fehlurteilen oder mit Leidenschaften verquickte Wahrnehmungen ins Unterbewusstsein sinken. Denn diese führen zur Bildung von gewohnheitsmäßigen Einstellungen des Gefühles und des Denkens, die nur schwer zu entwurzeln sind.

Dieser hier nur kurz und lückenhaft skizzierte Einblick in den Ablauf eines ungeschulten Alltagsbewusstseins wird einen solch erschreckenden Zustand von Unordnung zeigen, wie man ihn sicher nicht in seiner äußeren Umgebung, etwa im eigenen Wohnraum, dulden würde.

Es ist die tägliche kleine Lässigkeit, die Selbstvernachlässigung des Geistes, welche durch viele Lebensjahre, dem Buddha zufolge durch viele Lebensläufe hindurch, diesen Zustand geschaffen und geduldet hat. Es heißt im Sutta Nipata: "Lässigkeit ist Schmutz - und Schmutz auch, was aus Lässigkeit erwächst." Vers 334. Der Kommentar bemerkt hierzu: "Lässigkeit bedeutet in Kürze: 'Abwesenheit der Achtsamkeit' ... Aus der Lässigkeit folgend entsteht eine Menge Schmutz, ja ein ganzer Kehrichthaufen. Es ist, wie wenn sich im Hause alle ein bis zwei Tage nur etwas Schmutz ansammelt, aber wenn er durch viele Jahre hindurch anwächst, so wird es eben ein ganzer Kehrichthaufen." Gerade die unaufgeräumten Ecken des Inneren sind es, wo unsere gefährlichsten Feinde hausen und von wo aus sie uns unversehens überfallen und nur allzuoft überwältigen.

Dieses Deutlichwerden der inneren Zusammenhänge und damit der Zugänglichkeit, dieses Aufzeigen der Bedingtheit und damit der Veränderlichkeit, nimmt den Trieben, Vorurteilen und Gewohnheiten, ja auch der materiellen Welt ihre Selbstverständlichkeit.

Durch all das "Schwergewicht des Vorhandenen", hinter dem eine unabsehbare Vergangenheit steht, durch all die Selbstsicherheit geistiger Gewohnheiten und sog. "harter Tatsachen", werden viele so beeindruckt und eingeschüchtert, dass sie zögern, sich einer systematischen Geistesschulung zu unterziehen, da sie an ihrer Erfolgsmöglichkeit zweifeln. Die so einfache Übung des Reinen Beobachtens aber, ihren Standpunkt fest in der Gegenwart nehmend, vermag schon nach kurzer Zeit dieses Zaudern und Zweifeln zu zerstreuen und einen Vorgeschmack jener inneren Sicherheit und Unerschütterlichkeit zu geben, die das hohe Ziel der Schulung bildet.

Man wird häufig die Erfahrung gemacht haben, dass leidenschaftliches Verlangen sich durch den Versuch gewaltsamer Unterdrückung nur noch verstärkt, dass ein Streit durch Widerrede immer wieder neue Nahrung erhält, dass einer Störung durch den Ärger über sie ein stärkeres Gewicht und eine längere Lebensdauer gegeben wird als ihr selber innewohnt. Unerwünschte Eindrücke, sowohl innere als auch äußere, fassen Wurzel in uns nicht nur durch Billigung, sondern auch oftmals durch Widerstand.

Wenn während der Meditation oder der Achtsamkeitsübung innere oder äußere Störungen auftreten, so wird es einem Anfänger in der Geistesschulung nur selten gelingen, diese leichthin beiseite zu schieben. Ebenso wenig dürfte er Erfolg haben, wenn er sich mit den aus seinem Inneren aufwallenden, machtvollen Gegenströmungen der Unruhe oder der Leidenschaft in direktem Kampf messen wollte. Seine ungeschulte Abwehr wird meist nur eine emotionell gefärbte Aufmerksamkeit auf diese inneren und äußeren Störungen verstärken und ihnen manchmal unnötige und vermeidbare Überbetonung geben.

Bei der Bewertung solcher Misserfolge für den Anfänger müssen wir bedenken, wie häufig es gerade die Anfangs-Schwierigkeiten sind, an denen, eben wie äußeres Werk, so auch die innere Arbeit der Geistesschulung und Meditation scheitert. Dabei ist es nicht nur der Kleinmut, der angesichts der Anfangsschwierigkeiten zu einem vorschnellen Aufgeben weiterer Bemühungen führt, sondern es kann auch ein entgegengesetztes Motiv sein: ein falscher Stolz, der es nicht wahrhaben will, dass der Misserfolg an der eigenen, noch unentwickelten Kraft oder an mangelnder Ausdauer lag, sondern sich lieber einredet, dass die Methode die Schuld habe oder gar das Ziel nicht das rechte oder erreichbare sei.

Erwirbt man allmählich Fertigkeit in einer solchen Auseinandersetzung mit den "kleinen Störungen", so wird man, wenn sie auftreten, in der Lage sein, unmittelbar oder sehr bald zum ursprünglichen Betrachtungsgegenstand zurückkehren zu können, ohne an innerer Unruhe oder Sammlungsfähigkeit zu verlieren. Das reine unpersönliche Feststellen ohne näheres Eingehen auf den "störenden" Vorgang bewirkt seine Neutralisierung, seine "Entfärbung". Es wird eine Situation geschaffen, ähnlich einem Gespräch, das durch mangelndes Interesse des einen Gesprächspartners abstirbt. Eine beharrliche Anwendung dieser gewaltlosen Methode wird selbst gegenüber den Hauptbefleckungen des Geistes ihre Wirkung nicht verfehlen. Daher durfte ein burmesischer Satipaṭṭhāna-Lehrer die ermutigenden Worte sagen: "Denke nicht, dass es schwer ist, die geistigen Befleckungen zu überwinden! Dass es dem Strebenden leicht ist, so sollst du denken. Wenn Lässigkeit aufsteigt, so wisse: 'Lässigkeit ist da'. Wisse es wenn sie schwächer und schwächer wird und schließlich (eben durch fortgesetzte Achtsamkeit) schwindet". Der entscheidende Punkt ist, auf sie nicht einzugehen, weder durch Nachgeben noch durch Verstimmung. In diesem Sinne ist auch ein bedeutendes Buddha-Wort in der 18. Lehrrede der "Mittleren Sammlung" zu verstehen: "Wodurch bedingt einem Menschen die Wahrnehmungen der Vielheitswelt ankommen, wenn da kein Erfreuen, kein Bejahen, kein Anhalt ist, so ist dies eben das Ende der Gier-Neigungen, der Hass-Neigungen, der Neigungen zu Ansichten ...."

So wird also der "kleinen Störung", diesem großen Feind der geistigen Sammlung und sogar auch den stärkeren Befleckungen nicht nur die Waffe in gewaltloser Weise aus der Hand genommen, sondern sie werden sogar in ein Förderliches verwandelt, in den Dienst der gewaltlosen Geistesschulung gestellt und zur Überwindung der gewalttätigen Leidenschaften benutzt. Dies ist wahrlich der größte Sieg - Feinde in Helfer zu verwandeln. Ein Sieg, würdig jenes großen "Siegers", des Buddha, würdig jenes einzigartigen "Kenners der rechten Mittel"!

Zitat(e) Ende.


Ehre ihm, dem vollständig Erwachten!


 

 

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