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Wahrnehmung und Wahrheit
 

Ein Vortrag von

Santuṭṭho

 

Pagode in Burma


Was bedeuten diese Worte? Pflücken wir sie einmal auseinander. Etwas als "wahr" nehmen (für wahr annehmen) und etwas, was "wahr" ist. Beide haben als Wortstamm "wahr". Was ist wahr und was nicht? Darüber gibt es endlose Diskussionen. Wahrheit kann sowohl subjektiv sein, also für den jeweiligen als wahr empfunden, als auch allgemein, also für alle sein. Das ist nicht so einfach zu erklären bzw. zu verstehen. Das, was wir als wahr bzw. Wahrheit in unserem Gedächtnis abgespeichert haben, beruht auf unseren Sinneseindrücken. "Ich habe es selbst gesehen" ist der hier am meisten benutzte Ausspruch. Aber ob es tatsächlich wahr ist, kann oftmals nicht von allen anderen nachempfunden werden. Ganz einfach weil jeder Mensch sein eigenes Sinneserleben und daraus resultierendes Urteil hat. Prinzipiell einigen wir uns auf ein gewisses Maß an Übereinstimmung, einen Kompromiss sozusagen, um etwas Festgestelltes allgemein als Wahr zu bezeichnen. Was hier entsteht, ist die so genannte konventionelle Wahrheit. Eine Art Wahrheit, die ziemlich oberflächlich ist. Dennoch die Sorte von wahr, mit der wir alltäglich Umgang haben, die wir normalerweise ständig gebrauchen.

Wie es ist, wenn jemand etwas als wahr heraus posaunt, was wir selber nicht nachvollziehen können - oder wollen, wissen wir sehr genau. Da fallen Worte wie Lügner oder Spinner usw., bis hin zur Gerichtsverhandlung und schlimmstenfalls dem Ende desjenigen. In der Geschichte der Menschheit und auch heute noch ein ziemlich alltägliches Vorkommen. Was kann man da tun? Selbstverständlich sollte man immer die Wahrheit sagen. Aber man muss nicht immer etwas sagen. Man kann genausogut auch mal den Mund halten. Oder man überlegt genau, Was man Wie sagt, um niemandem Schaden zuzufügen. Bitte nicht mit der Diplomatie verwechseln. Diplomatie ist, kurz gesagt, "Nicht die Wahrheit sagen, ohne zu lügen" oder umgekehrt, "Ohne zu lügen, nicht die Wahrheit sagen". "Lügen, ohne Unwahrheit zu sagen" oder "zu lügen obwohl man die Wahrheit sagt", sind Wortsspielereien und führen ins Abseits. Das soll auf keinem Fall heißen, dass Diplomaten Lügner sind! Wir sollten immer genau hinhören, wenn jemand etwas sagt.

Immer prüfen, ob es wahr sein könnte bedeutet, erst einmal vorurteilsfrei aufnehmen, dann mit den eigenen Erfahrungen vergleichen, danach wertungsfrei entscheiden, ob es, falls wir keine dazu passenden Erfahrungen haben, akzeptabel ist oder nicht. Wertungsfrei zu entscheiden klingt wie ein Widerspruch in sich. Ist es auch gewissermaßen.

Wir sind geprägt von unseren Erfahrungen, Sinneseindrücken und nicht zuletzt von unserer Umwelt. "Die Umwelt formt den Menschen." Dieser Spruch ist ziemlich wahr. Auf der konventionellen Ebene. Nicht aber auf der absoluten. Absolut wahr ist, dass wir jede Information als wahr bezeichnen, im Gedächtnis bewahren, die uns als wahr vorkommt. Und das so lange, bis wir diese mit der nächsten Information ersetzen oder korrigieren. Das ist mitunter ein lebenslanges Unternehmen. Was wir als Kinder für wahr gehalten haben, ist uns heute ziemlich suspekt oder eben als unwahr verworfen worden. Wenn uns vertrauenswürdige Menschen etwas an Worten sagen, so sind wir meist bereit, dies als wahr abzuspeichern. Haben wir kein Vertrauen, so kommt erst einmal ein Filter dazwischen. Skepsis. Der skeptische Zweifel kann einem Menschen den letzten Nerv rauben. Der blind Vertrauende und der ewige Zweifler sind hier die Extreme. Beide sind zu verwerfen.

Die großen Fragen sind nun: "Was tun?", "Wie kann ich wissen, ob etwas wahr ist oder nicht?", "Woran erkenne ich die Wahrheit?". Diese Fragen kann und will ich Ihnen nicht beantworten. Es sind die Fragen, die jeder Mensch für sich selber beantworten muss. Was ich tun kann ist, Ihnen aufzuzeigen, wie man vorgehen kann, um heraus zu finden, ob da etwas wahr ist oder nicht. Im allgemeinen ist das ganz einfach: Fragen Sie nach. Bohren Sie tiefer. Lernen Sie zu unterscheiden zwischen Dahingeplappertem und Tiefgründigem. Als wichtigstes Werkzeug benutzen Sie bitte Ihren Verstand. Einen, den Sie nicht durch Alkohol oder ähnlichem getrübt haben. Zum Eintrüben können wir getrost das Unterdrücken mittels der Medien Fernsehen und Zeitung zählen. Wer hat noch nicht den Werbeslogan der "Bild" gehört, "bild Dir Deine Meinung"? Wie soll jemand, der sowas liest eine eigene Meinung bekommen? Er wird die bekommen, die ihm als wahr suggeriert wird.

Der Einfluss der Medien ist enorm und wird oftmals unterschätzt. Der Name Dr. Göbbels bürgt für entsprechende Qualität und Resultate. Jetzt dürften die Meisten aufschreiend antworten, "Ja aber ich muss doch wissen, was los ist!" Antwort: "Ja wozu denn?". Können Sie das ändern? Was machen Sie mit diesen Nachrichten? Die Zeitungen sind ziemlich voll von Mord und Totschlag. Überfälle und Katastrophen. Das sind die Schlagzeilen, die sich verkaufen lassen. Seien Sie mal ehrlich: Eine Tages-Zeitung, wo keine fette Schlagzeile prangt, was da wieder irgendwo passiert ist, kauft doch keiner. Wenn niemand die Zeitung kauft, geht der Laden den Bach ´runter. Also sind die Medien gewissermaßen gezwungen, Informationen zu bringen, die unsere Aufmerksamkeit wecken.

Bohren wir mal noch tiefer: WAS weckt da unsere Aufmerksamkeit? Die Gier nach Neuigkeiten. Kurz, die Neugier. Das ist menschlich, also keine Schande. Scham sollte entstehen, wenn wir uns dabei ertappen, dass wir uns beim Lesen der üblen Nachrichten mit den Opfern, schlimmer noch mit den Tätern, vergleichen. Gedanken wie "Hab ich ein Glück, dass das nicht mir passiert ist" sind da als normale Reaktion alltäglich. "Das kann mir nicht passieren" ist eine Steigerung ins Negative. Und "Das geschieht denen recht" ist ziemlich übel. Auch "Mir doch egal" ist nicht gerade schön, aber recht häufig anzutreffen.

Unser Geist ist nach außen orientiert. Lebt von Äußerem. Basiert auf Sinneseindrücken, die von Außen kommen. Das ist unsere Natur. Und es ist wahr. Das können Sie selber an und in sich nachvollziehen. Sie werden zu dem selben Schluss kommen müssen. Dies ist so zu sagen ein Naturgesetz. Ob Sie wollen oder nicht, ob es Ihnen passt oder nicht, es ist dennoch so. Keine konventionelle, sondern absolute Wahrheit. Punkt. Da ist nichts zu machen. Hartes Brot.

Aber es liegt ein Trost anbei: Dieses harte Brot der absoluten Wahrheit ist NEUTRAL. Es ist weder gut noch schlecht. Eben neutral. Wir können es aufweichen, damit ist nicht gemeint verfälschen, indem wir diese Wahrheit erst einmal akzeptieren.

Als nächsten Schritt bauen wir sie in unsere eigenen Denk- und Urteilsvorgänge ein. Wir haben nun ein klareres Sichtfeld. Indem wir wissen, dass wir auf Äußerlichkeiten fixiert sind, haben diese keine so allumfassende Macht mehr über uns. Ein gesundes Misstrauen, also nicht der skeptische Zweifel, kann entstehen. Wir werden beginnen zu fragen, wieso, weshalb, warum. Oder die ganze Informationsflut nicht mehr so ernst nehmen. Nicht mehr alles annehmen, aufnehmen. Der Computer ist da ähnlich. Ständig werden Daten auf der Festplatte gelagert. Mehr und mehr. Brauchen wir vielleicht nie wieder. Irgendwann ist sie voll. Es kommt zu Fehlern. Im Gehirn ist das Speichervolumen nie ausgeschöpft. Dennoch passieren fast ständig Fehler. Falsche Verbindungen werden geknüpft, falsche Reaktionen sind das Resultat. Diese kommen wieder zurück, lösen erneut etwas aus und so weiter. Ein ständiger Fluss. Dauernde Veränderung. Aber andererseits wollen wir ständig Informationen. Da ist Gier nach Sinneseindrücken. Von nichts kommt nichts. Wir alle kennen das Gefühl der Langeweile. Das ist nichts weiter als ein Gefühl, hervorgerufen durch Mangel an Sinneseindrücken, oder Mangel an gewünschten Sinneseindrücken. Eigentlich ganz einfach. Wir Menschen sind nicht die hochkomplizierten Wesen, wie uns oftmals einzureden versucht wird. Denken Sie mal in Ruhe darüber nach.

Zurück zum Thema wahr.
Wahrnehmung beruht auf unseren Sinnesfähigkeiten. Das dürfen Sie getrost als wahr akzeptieren. Gibt es (funktionierende) Sensoren und die dem entsprechenden (dazu passenden) Objekte, dann kommt es zum Kontakt der beiden. Da lässt sich nichts daran ändern. Der Kontakt ist die Ursache, dass Gefühl entsteht. Gefühl ist hier nicht die emotionale Reaktion. Was wir fühlen, das nehmen wir wahr. Also Wahrnehmung entsteht. Was wir wahrnehmen, das wird im Geist innerhalb von Bruchteilen von Sekunden verarbeitet: a) gibt es frühere gleichartige Kontakte dazu?; b) was war das? c) wie war die Reaktion usw. Also ganz grob: vergleichen, erkennen, bewerten. Erst jetzt erfolgt eine Reaktion. Und diese ist beeinflusst durch unsere ganz persönlichen Neigungen. Je nachdem wie unser Geist gerade von Hinneigung, Abneigung, Wissen oder Unwissen beeinflusst ist. So ist es also nur zu verständlich, warum wir mal so und mal anders auf eben fast den selben Sinneseindruck reagierten.

"Etwas für wahr nehmen" ist dann schon schwieriger zu erklären. Hier stehen unsere Erfahrungsschätze und nicht zuletzt unsere Neigungen an erster Stelle. Neugier und Unwissen sind hier die Nummer eins. Würden wir wissen, dann wäre die Ursache der Gier nach Neuigkeit gestillt. Das ist logisch nachvollziehbar. Aber wer kann schon für sich behaupten, er würde wissen? Wer so spricht, macht sich verdächtig. Wie kann man das prüfen? Das ist ziemlich schwer. Dazu muss man erst einmal selber versuchen, Wissen zu erlangen. Eigenes wohlgemerkt. Nicht das aus Büchern.

Bücherwissen ist das Wissen von anderen. Geklautes sozusagen. Eigenes Wissen kommt von innen, vom Erkennen, dass etwas so ist, wie es ist. Ganz gefährlich ist das, wenn man ungeheure Mengen an Gelesenem gespeichert hat und dann gar nicht mehr unterscheiden kann, woher welche Information kam. Kinder zum Beispiel haben eine blühende Fantasie. Sie können ohne Gewissensskrupel Wahres mit Unwahrem mischen. Erlebtes, Erfahrenes mit Gehörtem und Gelesenem, aus TV, Büchern und woher auch immer bunt mixen und sich einbilden, es sei so. Gönnen wir es ihnen. Viele Menschen beneiden die Kinder um diese Fähigkeit, die ganz offensichtlich bei Erwachsenen verschütt gegangen ist. Verfallen Sie bitte nicht auch darauf. Seien Sie froh, wenn Sie die Fähigkeit haben, klar unterscheiden zu können. Wahres von Gesponnenem zu trennen ist nicht so einfach. Sobald Sie sich aber daran gewöhnt haben, können Sie viel gelassener mit sich und Ihrer Umwelt umgehen. Ganz einfach, weil Sie sich nicht alles mehr annehmen, was auf Sie einstürmt. Weil Sie klarer sehen und erkennen.

Die Devise heißt DURCHSCHAUEN nicht ANSCHAUEN !!! Durchschauen Sie das Außen. Lernen Sie verstehen, dass das Außen nur eine Bedingtheit ist, eine Bedingung, damit im Innen, in Ihrem Geist etwas vorgehen kann. Was auch immer das sein mag. Das Verstehen, dass Außen und Innen miteinander verbunden sind, kommt möglicherweise nicht sofort. Auch kann man nicht erwarten, dass einem sofort diese Erfahrung, das daraus resultierende Wissen aufsteigt. Dazu sind wir viel zu sehr, viel zu lange von unserer Umwelt konditioniert worden. Bewusst oder unbewusst. Gewollt oder ungewollt. Im Prinzip haben wir uns selber das Wasser abgegraben, wollten wir ein Bild benutzen. Wir haben durch unsere Gier nach Sinneseindrücken verhindert, dass die in uns möglicherweise schon vorhanden seiende Erkenntnis, wie die Dinge wirklich sind, entstehen, aufsteigen kann. Aber das ist kein Grund, in Tränen auszubrechen, in Depressionen zu fallen. Das ist menschlich. Unsere Natur. Aber ebenso unsere menschliche Fähigkeit und in unserer Natur ist es, die Möglichkeit zu haben, das Wissen, und zwar auf absoluter Wahrheit beruhendes, zu erlangen. Das funktioniert aber nur, wenn wir unseren eigenen Geist anstrengen, nicht den der anderen. Wenn wir uns selber daran begeben, die Dinge sehen zu wollen, wie sie wirklich sind. Uns nicht länger blenden lassen von äußeren Eindrücken. Uns nicht länger Einflüssen aussetzen, die verhindern, dass wir uns eine eigene Meinung bilden. Natürlich können Sie weiter Ihre Bildzeitung lesen. Nur benutzen Sie Ihren Verstand zum Filtern. Fragen Sie sich, was bezweckt man damit, wenn man so eine Zeitung macht. Wozu das alles?

Erneut zurück zu Wahrheit und Wahrnehmung.
Was Wahrnehmung ist, haben wir nun einigermaßen geklärt. Was Wahrheit ist, bisher nur andeutungsweise. Wie unfassbar es ist, wenn die absolute Wahrheit über unsere Natur aufsteigt, das können wir aus den Worten entnehmen, die Siddhārtha Gotama, der, der als Buddha in die Geschichte einging, selber sprach:

'Die von mir erkannte Lehre ist tief, schwierig zu verstehen, schwer zu durchschauen, friedvoll, erhaben, nicht dem logischen Denken zugänglich, subtil, nur den Weisen zugänglich. Dem Begehren hingegeben ist doch die Menschenwelt, findet Gefallen am Begehren, erregt sich am Begehren. Für die dem Begehren hingebebene, am Begehren Gefallen findende, am Begehren sich erregende Menschenwelt ist diese Lehre schwer zu verstehen, die da ist: der ursächliche Zusammenhang durch die Entstehung in Abhängigkeit. Und auch diese Lehren sind schwer zu verstehen, die da sind: die Beruhigung aller Aktivitäten, das Aufgeben der zu Wiedergeburt führenden Dinge, die Auslöschung des Durstes, die Leidenschaftslosigkeit, die völlige Erlöschung, das Nibbāna. Wenn ich diese Lehre verkünden würde, würden die anderen mich nicht verstehen, dies würde mich erschöpfen, dies würde für mich Anstrengung sein.'

Und genau so ist es auch, wenn wir selber etwas als wahr erfahren haben und es denen mitteilen wollen, wo wir der Meinung sind, sie sollten es wissen. Das funktioniert eben nicht so. Es muss beim anderen erst einmal Bedarf sein, etwas wahres verstehen zu wollen. Es muss die Tendenz zur Wahrheit, das Dazu-hin-neigen da sein. Sonst können wir viel erzählen, der andere wird es nicht verstehen bzw. verstehen wollen. Auch muss Raum sein, um das Gesagte aufnehmen zu können. Raum im Sinne von Zeit dafür, Ruhe, die Umgebung. Sonst dringt das Gesagte nicht ein. Des weiteren muss die Fähigkeit zum verstehen da sein. Sonst wird das Gesagte nicht verstanden werden können. Es müssen also verschiedene innere und äußere Bedingungen erfüllt sein, damit überhaupt erst etwas als Wahrheit verstanden werden kann. Ob sie dann verstanden wird, das weiß man vorher nicht.

Übrigens ist das Anhängen an eine Religion oder Philosophie mitunter ein schwer wiegender Faktor, dass Verstehen nicht aufkommen kann. Das trifft generell zu. Anhängen an Meinungen und Ansichten sind die ganz alltäglichen Fallgruben. Kaum einer, der frei ist davon. Sogar das Anhaften an dem, was man als wahr erfahren hat ist letztendlich ein Hemmnis. Schwer zu verstehen, das gebe ich gern zu. Aber über die so genannte letztendliche Sache können wir heute und in diesem Rahmen nicht sprechen. Lernen wir erst einmal, mit den ganz normalen, täglich auf uns einströmenden Sinneseindrücken richtig umzugehen. Dann haben wir eine gute Basis, um die tieferen, verborgenen Erkenntnisse zu wecken.

Der Schlüssel zum Erkennen, wie die Dinge wirklich sind, liegt in uns. In unserem Geist. Nicht außen. In Büchern. Im Fernseher. Oder in der "Bild". Es sind also zwei Arten von Wissen, die wir uns zu eigen machen. Ebenso, wie es zwei Arten von Wahrheit gibt. Wissen, welches wir durch Studieren gewinnen (ob das tatsächlich ein Gewinn ist, sei dahin gestellt) und Wissen, das wir durch das Meditieren, das darüber Nachdenken gewonnen haben. Dieses ist dann eher ein Gewinn. Es sei denn, durch falsche Schlussfolgerung, falsche Erkenntnis, gelangen wir nicht zur Wahrheit. Womit wir wieder beim Thema sind: Wahrheit.

Zweierlei Art, herkömmliche und absolute. Es gibt bestimmte Situationen und Objekte, die nach überlieferter Gewohnheit wahr sind, da sie nach den allgemeinen Kriterien wahr zu sein scheinen und die Verständigung einfacher machen. Diese werden dem entsprechend als herkömmliche Wahrheiten oder als herkömmliche Wirklichkeiten bezeichnet. Wenn diese konventionellen Wirklichkeiten mit Weisheit analysiert werden, finden wir, dass sie nicht in der Weise existieren, wie man sie sich vorstellt. Während sie als reale, wirkliche Wesenheiten ersonnen werden, sind sie tatsächlich eher begriffliche Konstruktionen, die auf wirklich existierende Phänomene aufgesetzt werden. In etwa, als würde man eine Flasche mit einem Etikett versehen. Diese wirklich existierenden Dinge werden absolute Wahrheiten oder letztendliche Wirklichkeiten genannt.

Betrachten wir unsere eigene Persönlichkeit. Wir machen Gebrauch von dem Ausdruck "ich". Solche Alltagsphrasen wie "Ich gehe", "Ich erlebe", "Ich erkenne", "Ich tue", "Ich weiß" usw. schaffen den Eindruck, dass da ein reales unabhängiges "Ich" in einem existiert. Aber wenn dieses "Ich" genannte Wesen untersucht wird, um sein wirkliches Wesen zu entdecken, ist alles, was wir finden, eine Kombination der so genannten 'fünf Anhäufungen' - materielle Gestalt, Gefühl, Wahrnehmung, geistige Gestaltungen und Bewusstsein - welche ferner in Geist und Materie unterteilt sind. Was ist da unter all diesen Phänomenen der Existenz das, was man für ein reales "Ich" halten kann? Wenn der physische Körper weiter zerlegt wird in zweiunddreißig Teile - Kopfhaare, Körperhaare, Nägel, Zähne, Haut, Fleisch, Sehnen, Knochen usw., das ist eine häufig als Meditationsart praktizierte Methode, - kollabiert die konventionelle Vorstellung eines "Ich". Wenn diese materiellen Phänomene weiter mit Weisheit analysiert werden, wird zu erkennen sein, dass sie alle aus den Grundelementen zusammen gesetzt sind: die hart-weiche, grobe Natur (= das Erd-Element); die verbindend-fließende, haftende Natur (= das Wasser-Element); die heiß-kalte, verdauende Natur (= das Feuer-Element); die aufrechterhaltend-mobile, ausdehnende Natur (= das Luft-Element) und die freie, leere Natur (= das Raum-Element). Der Geist ist auch eine reine Energieform, fähig, Objekte zu erkennen, somit ist er auch als ein Element klassifiziert, nämlich als das "Bewusstseins-Element". Dementsprechend ist ein "Ich", obwohl auf der herkömmlichen Ebene akzeptiert, im letztendlichen Sinne gar nicht vorhanden.

Was in Wirklichkeit vorgefunden wird, ist eine Verbindung von sechs Elementen, ohne jegliche Natur eines Wesens oder Individuums. In Wirklichkeit durchdringen nur diese sechs Elemente der Festigkeit, Flüssigkeit, Hitze, Bewegung, des Raums und des Bewusstseins das ganze Universum. Diese sind keine Substanzen, sondern eher ständig wechselnde Energieformen auf der Grundlage einer Ursache-Wirkungs-Beziehung. Sie sind lediglich eine Fortsetzung bewegter Prozesse, so schnell entstehend und vergehend, dass ihre Umwandlungen nicht mit gewöhnlichen Mitteln wahrgenommen werden können. Alle vermeintlich existierenden Gegebenheiten - sowohl bewusste als auch unbewusste - sind nur verschiedene Kombinationen eben dieser Elemente. Sie können nur in den Grenzen des Konventionellen als real betrachtet werden; das selbe gilt für die Bezeichnungen, die für ihre Identifikation akzeptiert werden.

Folglich sind Begriffe wie Meer, Berg, Baum, Land, Haus, Bett, Stuhl, Kleidung, Leute, Götter, Tiere, "ich" und "du" neben den Dingen, die sie bezeichnen, eher Konzepte oder Konventionen als Bild: Etikette. Wenn Worte selbst nur Konventionen sind, folgt daraus, dass die Begriffe, welche die letztendlichen Wahrheiten identifizieren, ebenfalls lediglich Konventionen sind. Doch welche herkömmlichen Begriffe auch immer verwendet werden, um sie zu beschreiben, ihre Natur als letztendliche Realitäten bleibt unberührt. In und um uns sind immer die letztendlichen Realitäten wirksam, aber wir erkennen diese Wahrheit nicht wegen unserer Verblendung, oder Unwissenheit, welche ebenfalls eine letztendliche Realität ist und zum Bewusstseins-Element gehört. Durch das Akzeptieren von Herkömmlichkeiten als letztendliche Wahrheit häufen wir mehr und mehr Leiden, das ist das, was wir in der schwächsten Form als Unzulänglichkeit kennen, an.

Die angebrachte Technik zur Beseitigung dieses Schleiers der Unwissenheit und zum Ans-Licht-Bringen der letztendlichen Wahrheit ist Meditation. Meditation beginnt mit einer herkömmlichen Realität als Objekt, wie z.B. Atemachtsamkeit, die zweiunddreißig Körperbestandteile oder das Heben und Senken der Bauchdecke. Wenn sich Achtsamkeit und Aufmerksamkeit des Meditierenden vertiefen, wird er die konventionelle Ebene übersteigen und direkt die letztendlichen Realitäten wahrnehmen. Durch wiederholte Betrachtung dieser letztendlichen Realitäten von verschiedenen Gesichtspunkten aus, gewinnt der Meditierende Einsicht in die wahre Natur der bedingten Welt. Durch diese Einsicht rottet er die Neigung zur Welt aus und realisiert die überweltliche letztendliche Realität, Nibbāna, und erlangt dabei Befreiung vom Leiden. Die weltlichen absoluten Realitäten, hier als die sechs Elemente erwähnt, müssen durch persönliches Erleben verstanden werden wie sie wirklich sind. Trotzdem können sie bis zu einem bestimmten Punkt auch verbal beschrieben werden, wenn auch unzulänglich. Im Gegensatz dazu widersteht die überweltliche absolute Realität, Nibbāna, allen Versuchen einer verbalen Beschreibung, denn es ist jenseits aller weltlichen Maßstäbe, Konventionen und Beschreibungen, wie z.B. Raum und Zeit. Nibbāna kann jedoch direkt wahrgenommen, besser gesagt, erfahren werden durch intuitive Weisheit, welche durch die Erfüllung der Grundprinzipien, die dazu notwendig sind entsteht, kurz: ethisch korrektes Verhalten als Basis, zusammen mit Geistessammlung und Weisheit.

In unseren täglichen Aktivitäten haben wir auf die Herkömmlichkeiten zurück zu greifen, aber es ist gut, sich daran zu erinnern, dass diese nicht die letztendliche Wahrheit ist. Erinnern bedeutet, sich bewusst ständig gegenwärtig haltend, dass alles, was auf uns einströmt sich ständig verändert, ohne Substanz ist und letztendlich unbefriedigend. Unfassbar, zumindest anfänglich. Daher auch die Schwierigkeiten, wenn man sich zur Meditation hinsetzt. Meditation ist im Grunde genommen eine äußerst lieblose Tätigkeit. Denn sie geht direkt gegen das vor, woran wir am allermeisten hängen: der Vorstellung, dass es ein Ich gibt. Dieses Ich, ist nur ein Etikett, welches wir benutzen, benutzen müssen, um miteinander kommunizieren zu können. Eine Vorstellung, wie schon erwähnt, die aus unserer Wahrnehmung entstanden ist. Kurz: nicht real existent.

Es gibt viele, die sich dem Buddhismus zuwenden, weil er gerade in ist, also eine Modeerscheinung. Man möchte meditieren lernen, um sich besser zu fühlen, gesund zu werden oder auch nur, um mitreden zu können. Kein Wunder also, wenn die erwarteten Erfolgserlebnisse ausbleiben. Enttäuschung breitet sich aus. Eigentlich wird nur ein Aspekt dieser Lehre heraus gepickt. Die Essenz aber weg gelassen.

Das ist, als würde man von der Banane die Schale essen und die eigentliche Frucht wegwerfen. Oder man geht wegen eines Unwohlseins zum Doktor, dieser untersucht einen und stellt eben ein Leiden fest. Er schreibt ein Rezept und schickt uns mit dem Hinweis: "drei mal täglich diese Medizin nehmen" nach Hause. Was machen wir aber? Wir freuen uns, dass der Doktor sich so nett mit uns unterhalten hat, einen Strahl seiner Weisheit auf uns hat scheinen lassen. Das Rezept rahmen wir mit Gold ein, stellen es in die Glasvitrine, freuen uns daran, da es von so viel Weisheit kündet. Jedem erzählen wir, was für ein toller Arzt doch dieser Doktor ist. Und was für ein extrem wirksames Rezept der uns ausgestellt hat! Wie gut es uns jetzt schon fühlen. Wir sonnen uns in der auf uns gerichteten Aufmerksamkeit. Nach einer Weile stellen wir dann fest, dass gewisse Anzeichen des Unwohlseins doch nicht so recht geschwunden sind. Was für ein blöder Arzt! Dieser Scharlatan! Hat der uns doch was vor gegaukelt! Wie konnten wir so doof sein und darauf herein fallen! Usw. Natürlich müssen wir unsere gerechte Entrüstung heraus posaunen! Allen müssen wir erzählen, wie dieser Arzt uns abgezockt hat. Schließlich war ja gerade Quartalswechsel und wir mussten dem auch die 10 Euro blechen. So ein Mistkerl aber auch! Dieses Rezept hat überhaupt nichts getaugt! Wegschmeißen sollten wir es! Immer und immer wieder steigt dieser Ärger hoch. Groll nennt man das übrigens. Im günstigsten Fall kommt mal jemand zu uns zu Besuch und fragt uns, was denn das für ein rosa Zettel in dem Goldrahmen sei. Beschämt blicken wir zu Boden und murmeln was vom Taugenichts Dr. Soundso und wie wir doch doof waren, auf den rein zu fallen. Vor Scham laufen wir dunkelrot an und möchten am liebsten im Boden versinken. Als unser Gast aber anfängt laut zu lachen, steigt Wut hoch. Wie kann der bloß! Ist es nicht schlimm genug, dass wir sauer verdiente ganze 10 Euro abknapsen mussten für den blöden Wisch? Nichts hat er geholfen. Wie oft haben wir inbrünstig vor dem golden eingerahmten Zettel auf Knien gelegen und darum gebeten, dass er uns helfen mag! Der Typ, den wir jedenfalls nie wieder als Gast begrüßen werden, das walte Hugo!, kriegt sich gar nicht mehr ein vor Lachen. Was hat der bloß? - - -

Sie, liebe Zuhörer, wissen, was gemeint ist.
Dieses Beispiel soll stellvertretend dafür sein, wie verfilzt unser Denken ist. Wie kurzsichtig wir nur all zu oft sind und dem zufolge sprechen und handeln. Wie aus unserer Wahrnehmung verkorkste Vorstellungen entstehen, die wir für "wahr" ansehen. Wie unsere Überzeugung nur auf Oberflächlichkeiten beruht. Gehen wir tiefer. Bitte gehen Sie tiefer. Lassen Sie sich nicht von Scheinwahrheiten aus der Zeitung, deren Meinung Sie sich bilden sollen, oder dem Fernsehen irre führen. Auch wenn Sie dort in der ersten Reihe sitzen. Wie in den anderen Vorträgen auch appellieren wir dringend an Sie: Gebrauchen Sie Ihren eigenen Verstand.

 

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