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Die Bedeutung des Buddhismus für unsere Zeit |
Wenn der Gute weint, der
Schlechte lacht, wenn der Schwache leidet, der Mächtige sich seiner
Gewalt freut; wenn der Ehrliche darbt, der Schurke prasst; wenn wir den
Edlen in der Tretmühle des Alltagslebens sehen, in der er scheinbar
verblutet, den Seichten in der behaglichen Muse einer persönlichen
Unabhängigkeit, welche seine Beschränktheit nicht auszufüllen
weiss - kurz wenn wir alle diese Verstöße gegen eine kosmische
Gerechtigkeit sehen, von welchen jedes Moment der Wirklichkeit voll ist,
so verlangt der denkende Mensch zweierlei: als Praktiker Abhilfe, als
Theoretiker eine Vertiefung der Erkenntnis bis zu jener ursprünglichen
Wurzel, welche dieses wirre Geäst der Gegensätze umgreift und
damit begreift. Er verlangt einen Standpunkt, in welchem das Gefühl
nicht mehr durch den Verstand verletzt wird, und umgekehrt der Verstand
nicht mehr durch das Gefühl beunruhigt wird. Berechtigterweise kann man von ihr nur da reden, wo eine kosmische Gerechtigkeit nicht geglaubt, sondern begriffen wird. Unsere Zeit hat weder eine Weltanschauung, noch hat sie Abhilfe für die tausend und abertausend sozialen Nöte. Auf beiden Seiten, erkenntnistheoretisch wie praktisch, verrennt man sich in unlösbaren Gegensätzen. Der eine sucht die Nöte des Denkens im Glauben an Seele und Gott zu stillen, der andere im kühlen Rechenexempel einer streng mechanischen Weltanschauung. Der eine verlangt bei den Nöten des sozialen Lebens mehr Liebe, der andere mehr Polizei. Man kämpft gegen Verarmung, gegen Bettel, gegen Unsittlichkeit, gegen Trunksucht, gegen Volkskrankheiten, gegen Säuglingssterblichkeit, gegen den Krieg etc. etc. ohne sagen zu können, dass an je irgend einem dieser Punkte eine wirkliche Hilfe erzielt worden wäre. Wie das Bellen des "Spitz aus unserem Stall" nichts zeigt als dass wir reiten, so zeigt der Lärm der Wohlfahrts-, Friedens- etc. Kongresse nichts als das unaufhaltsame Rollen, in welchem sich alle unsere Zustände befinden. Mit allen diesen Kämpfen gegen die sozialen Missstände gleichen wir Menschen, welche mit höchster Anstrengung das Wasser aus einem sinkenden Kahn ausschöpfen und nicht das Leck stopfen. Wir bleiben in den Symptomen stecken, daher die Erfolglosigkeit aller dieser Kämpfe. Was man oben ausschöpft, das dringt von unten her nach. Das Entsprechende vollzieht sich auch auf gedanklichem Gebiet. Je weiter der menschliche
Geist vorwärts schreitet, um so breiter und entschiedener klafft
der Spalt zwischen Glaube und Wissenschaft und wird von jedem Denkenden
immer peinlicher empfunden. Je schärfer die Wissenschaft ihr mechanisches
Weltbild ausarbeitet, um so krasser hebt sich ihr gegenüber der Standpunkt
des Glaubens ab. Letzterer lehrt, dass hinter dieser Welt der Erscheinungen
ein Transzendentes, eine göttliche Kraft steht, von welcher aus dieses
ganze Spiel erst Sinn und Bedeutung bekommt; die Wissenschaft dagegen
lehrt, dass es im ganzen Weltgeschehen nichts gibt, als was sich sinnlich
darstellt oder doch: dass man nichts als nur das Anschauliche nötig
habe, um eine Weltanschauung schaffen zu können. Einen Menschen, der ganz unempfindlich dagegen wäre ob dem was er tut ein anderer zuschaut oder nicht; ob das was er tut "gemerkt" wird oder nicht - einen solchen Menschen gibt es nicht. Dem entsprechend wird der Mensch, je nachdem er hinter dem Weltgeschehen ein Transzendentes, Göttliches annimmt oder nicht, in seinem Verhalten dem Anderen gegenüber stets in irgend einer Weise beeinflusst werden. Das Bewusstsein, dass eine höhere Instanz da ist, wird ihn veranlassen, Vorsicht einerseits, Rücksicht andererseits zu üben. In das freie Spiel der Kräfte, das wir heute "Kampf ums Dasein" nennen, werden sich gewisse selbsttätige Hemmungen einschieben, die an der skrupellosen Betätigung dieses Spieles hindern. Diese Hemmungen werden fehlen, da wo man nicht glaubt; wo man, wie die mechanische Weltanschauung es tut, nichts anerkennt, als was sich sinnlich, anschaulich darstellt. Daher dieses brutale Spiel der Kräfte, wie es sich in so erschreckender Weise in den "Fortschritten" unserer Zivilisation darstellt, in diesem rücksichtslosen "Kampf ums Dasein", wie er sich aktiv zeigt in einem blinden Vorwärtsdrängen so weit es eben geht, und passiv in einem ebenso blinden Sichwehren gegenüber diesem Vorwärtsdrängen. Jede Rücksichtnahme auf den Anderen, jeder Akt der Selbstbeschränkung, der Selbstlosigkeit ist ein Akt der Moral. Zu einem solchen Akt, soll er nicht bloße Dressur oder Askese sein, gehören Motive. Ein derartiges Motiv gibt der Glaube: die Furcht vor einem Gott, oder wie wir meist sagen: die Gottesfurcht. Ein solches Motiv fehlt der Wissenschaft. Sie ist amoralisch, wie sie areligiös ist. Nun ist es eine Tatsache,
dass der Glaube nicht gelernt werden kann. Wer ihn nicht hat, der kann
ihn nicht erwerben. Man kann nur gläubig sein, aber es nicht werden. Was unsere Zeit und unsere Lage von allem früheren unterscheidet, ist dieses, dass die ganze Oberfläche der Erdkugel der modernen Zivilisation erschlossen ist oder doch im Begriff steht, ihr erschlossen zu werden. Das ist für unser Problem von der höchsten Bedeutung. Es fehlt uns ein rettendes Barbarentum, das, wie etwa zu den Zeiten des zerfallenden römischen Weltreiches die erschöpften Glaubensbestände wieder ergänzen könnte. Die Aussicht, dass unserer alternden Erde von einem anderen Planeten ein neues, glaubensjunges Material zugeführt werden könnte, ist noch in weiter Ferne. So sind wir in die Notlage versetzt, aus uns selber heraus neue moralische Werte zu schaffen als Ersatz für die mit dem schwindenden Glauben verloren gegangenen. Das ist die Aufgabe der modernen Menschen und der modernen Zeit. Die Frage, ob wir bald dahin kommen werden die Luft vollständig zu meistern, das drahtlose Fernsprechwesen über den ganzen Erdball auszudehnen und was derartige Probleme mehr sind, die alle in der einen Frage wurzeln: "In wie weit wird es möglich sein, Zeit und Raum zu besiegen, zu unendlich kleinen Größen zusammenschrumpfen zu lassen" - Alles das ist bei weitem nicht so wichtig wie die Frage: "Woher neue moralische Werte nehmen?" Die Welt kann sehr wohl bestehen ohne alle diese Fortschritte der Zivilisation; ja es gibt sogar viele, die behaupten, sie könne besser bestehen ohne all dieses, aber sie kann nicht bestehen ohne Moral. Nun arbeitet unsere Zeit wohl an der Schaffung neuer moralischer Werte, aber alle diese Werte verleugnen ihren künstlichen, synthetischen Charakter so wenig wie die synthetischen Arzneimittel der modernen Chemie ihren künstlichen Charakter verleugnen. Es fehlt ihnen die innere Notwendigkeit, die allem Natürlichen eigen ist. Alle moralischen Versuche unserer Zeit behalten den Charakter des Experiments oder des Sports. Sie können so verlaufen wie sie verlaufen; sie könnten aber auch anders verlaufen, ja könnten im Notfall ganz unterbleiben. Sie alle sind Ergebnisse, Funktionen eines Fühlens, aber nicht Ergebnisse, Funktionen eines Erkennens. Man fühlt wohl, dass gutes tun besser ist als böses tun, aber man begreift nicht worin die Notwendigkeit hierfür liegt. Solange ich das aber nicht begreife, bin ich im Grunde genommen ein Narr oder ein Feigling wenn ich meine Gelüste gewaltsam unterdrücke. Des Menschen ganzes, innerstes Wesen geht auf das Suchen der Lust aus, auf ihre Befriedigung. Soll er dagegen ankämpfen, muss er, vernünftigerweise, Motive haben. Er muss begreifen, dass gutes sich selber lohnt, schlechtes sich selber straft; er muss kosmische Gerechtigkeit begreifen. Hier ist es, wo der Buddha einsetzt. Die kosmische Gerechtigkeit, die jeder Denkende nicht glauben, sondern begreifen will, ergibt sich mit der Kamma-(Karma)Lehre. In ihr liegt die Bedeutung des Buddhismus für eine Weltanschauung. Der Buddha lehrt, dass jedes Lebewesen durch und durch ein Verbrennungsprozess ist. Dass es als solches Form einer individuellen Energie ist, die in jedem Daseinsmoment einen neuen Wert annimmt weil sie zusammen mit ihrem Material sozusagen aufblüht, sich entwickelt. Wie die Wärme-Energie einer Flamme in jedem Moment aus ihren Vorbedingungen und entsprechend ihren Vorbedingungen neu aufspringt, so springt die Ich-Energie (das Kamma) eines Lebewesens in jedem Moment neu auf, nimmt einen neuen biologischen Wert an in den Willensregungen. Jedes Lebewesen unterhält sich selber durch seine Willensregungen in seinen Willensregungen. Energie ist notwendig ein Nicht-Sinnliches, denn alles Sinnliche ist ja Form, Ausdruck von Energien. Auch die Ich-Energie ist notwendig ein Nicht-Sinnliches. Sie wird aber sinnlich, dem Einzel-Wesen selber als Bewusstsein begreifbar. Damit löst sich die Kardinal-Frage jeder Weltanschauung: "Gibt es ein Nicht-Sinnliches?" sich in einer wahrhaft genialen Überraschung: Es gibt ein Nicht-Sinnliches, aber das selbe ist kein Transzendentes derart, wie der Glaube will, sondern da wo die Möglichkeit vorliegt, diese Frage überhaupt zu stellen, ist dieses Nicht-Sinnliche auch gleichzeitig da als das einzige mir unmittelbar Zugängliche der ganzen Welt: Mein Bewusstsein. Und nichts ist nötig, es als solches, als Energie zu begreifen. "Es ist Cetana
(Denken), das ich Kamma nenne", sagt der Buddha selber. Aus der Einsicht: "Ich bin ganz und gar Form einer rein individuellen Energie, meines "Kamma", ergibt sich als gedankliche Notwendigkeit die für den Westländer so unerhörte Folgerung der "Wiedergeburt nach den Taten." Energie kann nie entstanden sein, wo sie da ist, da muss sie von Anfangslosigkeit her da sein. Damit, dass sie da ist, ist notwendig gegeben, dass sie nie nicht da gewesen ist. Mein Kamma, die Kraft, auf Grund deren ich jetzt "Ich" sage, ist von jeher tätig gewesen, nicht als freie Kraft - das wäre Glaubenssache - sondern stets in Abhängigkeit von seinem Material, wie jede physische Energie nur da ist in Abhängigkeit von dem Material, in welchem sie sich darstellt. Die Wirklichkeit zeigt nie und nimmer Kraft für sich oder Stoff für sich, sondern nur die Einheit beider: Prozesse. Der reinste Typus, des wirklichen Prozesses ist der Verbrennungsprozess. Die Tatsache: "Ich bin da" heißt: Es brennt von Anfangslosigkeit her. Zerfällt eine Daseinsform im Sterben, so fasst das Kamma der selben an der Stätte, in dem Mutterleib unmittelbar neu Fuß, auf dessen Zeugungsmaterial es spezifisch, einzigartig abgestimmt ist und entzündet hier einen neuen Ich-Prozess, welcher sich entsprechend dem Zeugungsmaterial gestalten wird, das ihm sozusagen als Brennstoff dient. Die mütterliche Ei- und die väterliche Samenzelle bilden nur die Möglichkeit für das neue Lebewesen, welche sich erst im Hinzutritt, im Einschlag der Energie verwirklicht, zur Wirklichkeit aufblüht. Je nach dem biologischen Wert, den mein Kamma im Sterbemoment darstellt, wird die neue Stätte beschaffen sein, auf die es biologisch abgestimmt ist. Anders ausgedrückt: je nachdem mein Charakter beschaffen ist, wird meine nächste Existenz beschaffen sein. Denn mein Charakter ist mein Kamma. Und Kamma, die Ich-Energie, fasst im Sterbemoment da, auf dem Zeugungsmaterial, wo es fassen kann, weil es, infolge spezifischer, einzigartiger Abgestimmtheit etc. und gerade da, fassen muss, Wiedergeburt nach den Taten! Hier näher auf die Kamma-Lehre einzugehen, ist nicht der Platz. An anderer Stelle habe ich mich bemüht, diese unserem einseitig induktiv gezüchtetem Denken völlig fremdartig gewordenen Vorstellungen, die in Wahrheit doch die natürlichen sind, uns wieder näher zu bringen. Hier muss es genügen, festzustellen, dass mit der Kamma-Lehre des Buddha jene kosmische Gerechtigkeit gegeben ist, die jeder Denkende nicht glauben, sondern begreifen will. Habe ich diese "kosmische Gerechtigkeit" begriffen, so muss sich die Rückwirkung notwendig an meinem Verhalten zeigen. Habe ich begriffen, dass alles was ich tue, rede, denke, sich an mir selber verwirklicht, so werden sich damit wieder jene selbsttätigen Hemmungen im freien Spiel der Kräfte einstellen, die mit dem Schwinden des Glaubens verloren gegangen waren. Freilich sind die Motive in beiden Fällen von Grund aus verschieden. Statt der "Furcht vor Gott" steht hier die "Furcht vor mir selber" da. Die Kamma-Lehre des Buddha ergibt eine natürliche Moral, die ihre Wurzel nicht mehr im Flugsand der Gefühle, wie jede Glaubensmoral, sondern in der kühlen, gesicherten Tiefe des Begreifens hat. Die beiden vom Standpunkt
der Wissenschaft aus unerklärbaren Wunder - das Sterben, d.h. das
scheinbare Verschwinden von Energie einerseits, das Geborenwerden, d.h.
das scheinbare Neu-Entstehen von Energie anderseits - lösen sich
hier in einem einigen Begreifen: Das Entstehen hier verlangt das Vergehen
dort. Die Moral, die sich mit der Kammalehre als Notwendigkeit, als Funktion des Begreifens ergibt, ist die erste und wichtigste Frucht des Buddha-Gedankens, Beweis seiner "Wirklichkeit". Denn wirklich ist, was wirkt. Und dass ich den Buddha begriffen habe, das beweist sich darin, dass ich von ihm ergriffen werde, dass er auf mich wirkt, mich in meinem Verhalten in jedem Moment bestimmt, mich zur Selbstlosigkeit zwingt. Der Buddhismus ist die einzigste aller Religionen, aller Weltanschauungen, aller Philosophien, der eine wirkliche Moral, d.h. eine Moral, die Funktion des Begreifens ist, auswirft. Darin liegt seine unersetzliche Bedeutung für jede und vor allem für unsere Zeit. Man fragt: "Wird der
einzelne denn diesem Muss folgen können? Wird diese geforderte Selbstlosigkeit
nicht ein toter kategorischer Imperativ bleiben?" Wenn ich erkannt habe, dass ich ein auf Grund einer rein individuellen Energie von Anfangslosigkeit her bestehender Verbrennungsprozess bin, in dem keine Seele wie ein roter Faden als ein an sich Beständiges, als Ewiges steckt, sondern bei dem jedes "Jetzt" erst immer wieder das nächste "Jetzt" aus sich selber schafft, wie bei der Flamme auch, so heißt das: "Ich bin kein wahres Selbst (atta), kein "Ich" im vulgären Sinn, als ein mit sich selber Identisches. In der Inschau werde ich mir selber ganz und gar zugänglich als reiner Verbrennungsprozess, als ein sich selbst, aus sich selber heraus Unterhaltendes. Die Kraft, auf Grund deren ich da bin, wird mir, dem Individuum begreifbar als "Bewusstsein" und beweist sich selber als ein in jedem Moment immer wieder Neu-Aufspringendes. Denn jedes Bewusstseins?Moment ist ein stets neues "Jetzt". Somit: Ich bin weder ein reiner Ausgleichvorgang von Spannungs-Differenzen, wozu die mechanische Weltanschauung mich machen will, noch bin ich ein Seele-Begabtes, ein mit sich selber Identisches, ein wirkliches "Ich", wozu der Glaube mich machen will. Dieses mein Wesen als wirklicher Verbrennungsprozess drückt der Buddha aus durch das Wort anatta = nicht-selbst. Und damit kommen wir auf die obige Frage zurück: "Ist es möglich, dem Gebot der Selbstlosigkeit zu folgen?" Die Antwort lautet: Ich kann selbstlos sein, sobald ich mich selber als Selbst-los, als an-atta begriffen habe. Dann steht Selbstlosigkeit in Einklang mit meinem Begreifen. Ich müsste gegen mich selber lügen, wollte ich, nachdem ich begriffen habe, noch selbstisch sein! Damit kommen wir auf die andere unersetzliche Bedeutung die der Buddhismus für jede und vor allem für unsere Zeit hat: Er mildert, er entspannt den Kampf ums Dasein. Alle sozialen Missstände stammen im letzten Grunde aus diesem blinden, kritiklosen Kampf ums Dasein. Weil wir nicht fähig sind, Sinn und Bedeutung des Lebens zu begreifen; weil wir nicht wissen, was wir sind, deswegen machen wir "Leben" zum Wert an sich und damit den Kampf ums Dasein zu einer notwendigen Tugend, zu etwas dem Menschtum, der Menschenwürde Zukommendem. In unnatürlicher Verkehrung der Begriffe ist uns der Kampf ums Dasein zum Ziel des Kampfes selber geworden. Und in dieser Vorstellung sind wir gedanklich so verroht, dass wir die Frage nach dem Wesen dessen, um das wir kämpfen, die Frage nach der Daseinsberechtigung des Lebens und damit des Kampfes ums Dasein gar nicht mehr stellen können, oder nicht zu stellen wagen. Das Leck im Fahrzeug des sozialen Lebens ist diese blinde Lebenssucht, dieser kritiklose Lebenstrieb, dieses rücksichtslose Raffen und Greifen, das gar nicht weiß, warum es rafft und greift. Daher kann Hilfe nur vom richtigen Denken aus kommen. Wir alle ertrinken in der Tatsache "Leben" wie ein Mensch im Weltmeer. Erst der Buddha macht den Einzelnen fähig, einen Standpunkt zu gewinnen der es ihm erlaubt in kühl kritischer Weise nach der Daseinsberechtigung des Lebens selber zu fragen. Habe ich begriffen, dass Leben gar nicht Wert an sich ist, nicht etwas, das seine Daseinsberechtigung in sich selber trägt, sondern etwas, das diese seine Daseinsberechtigung sich selber erst immer wieder aufs neue schaffen muss, dass der Einzelne es ist, der "dem Leben Wert verleihen muss"; das Leben überhaupt keinen Wert hat als den, welchen wir ihm selber verleihen, so wird das für die Abschätzung aller Lebenswerte von tiefstem Einfluss sein. Aus der Einsicht in dieses anfangslos sich selbst Erhalten, wird still, langsam, aber unwiderstehlich jener kühle, klar bewusste Entschluss des Zurücktretens, des Aufgebens, des Entsagens hochsteigen, wie der Mond aus dunklem Wolkenschoß. "Kein Ding lohnt sich." Im wirklichen Begreifen des Lebens kommt man zu der Einsicht, dass "Leben" etwas ist; das besser nicht da wäre, weil ein anfangsloses, sich durch sich selbst unterhaltendes und somit zweckloses Spiel. Zu einem Ende kommen kann
dieses Spiel nicht durch gewaltsames Abbrechen - das hieße ja nur
die Bühne wechseln - sondern dadurch, dass in immer klarerem Begreifen
der Natur des Lebens sich das Hängen am Leben immer mehr schwächt.
Das immer neue Aufspringen neuen Kammas in den Willensregungen
hört auf. Hier kommt natürlich
der Allerwelts-Einwurf: Mit der Einsicht in die Anfangslosigkeit der Lebensprozesse schwindet jedes Ziel des Lebens. Es bleibt nur das eine, wirkliche Ziel: das Aufhören, das Eingehen des anfangslosen Spiels. Solange man sein eignes Wesen nicht begriffen hat, wird diese Schlussfolgerung stets als Unnatürlichkeit erscheinen. Hat man begriffen, so sind sich die damit ergebenden Folgerungen eine natürliche Funktion dieses Begreifens. Nun ist der Buddha-Gedanke eine Intuition und zwar die einzig reine Intuition die möglich ist - nämlich eine mein eigenes Bewusstsein betreffende Intuition, was wohlgemerkt nicht mit dem Erleuchtungsakt des Glaubens verwechselt werden darf, sondern nichts ist als sozusagen ein Hineinschnellen in die Wirklichkeit selber, die als solche zu begreifen unser Nichtwissen uns hindert. Als reine Intuition ist der Buddha-Gedanke den Beweismitteln der Wissenschaft, die stets induktiver Art sind, unzugänglich. Beweisen im Sinne der Wissenschaft heißt: etwas auf ein Bekannteres zurückführen. Diese Möglichkeit schließt sich beim Bewusstsein von selber aus, wenn auch die moderne Psychologie selbst vor dieser letzten Widersinnigkeit nicht zurück schreckt. Bewusstsein ist es selber und weiter nichts und verlangt nichts als nur: als solches begriffen zu werden. Es ist das "aude sapere" , das dem Denkenden hier in seiner strengsten, reinsten Form entgegentritt. Wie die beschränkten Intuitionen der Wissenschaft das Robert Mayer'sche Gesetz von der Erhaltung der Kraft, die Galilei'schen Fallgesetze, die Newton'schen Gesetze etc. - nicht direkt aus der Erfahrung abstrahiert sind, was eben deshalb unmöglich ist, weil die Wirklichkeit weder ein reines Erhaltungsgesetz noch Fallgesetz etc. zeigt, sondern sich aus einem geduldigen achtsamen Ruhenlassen des Denkens auf den Tatsachen ergeben haben, so kann sich auch die Buddha-Intuition nur ergeben im geduldigen, achtsamen Ruhenlassen des Denkens auf sich selber. Buddhismus ist reiner "Reflexionsprozess", ein Zurückgeworfenwerden des Denkens von der Welt, wo es beim vulgären Menschen stets zu Hause ist, auf sich selber. Dazu aber bedarf es der Ruhe
und Einsamkeit. Sie sind die Vorbedingung alles wirklichen Denkens. Zu
beiden aber lässt es die Art der modernen Lebensführung kaum
noch kommen. Dieser blinde Kampf ums Dasein, diese immer neuen Güter
der Zivilisation, mit welchen uns eine aufs höchste entwickelte und
nie rastende Technik überschüttet, entfremden uns uns selber
immer mehr, machen einen Verkehr des Einzelnen mit sich selber, ein Alleinsein
mit sich selber, fast unmöglich. Der Einzelne muss sein eigenes Wesen begreifen, muss begreifen, dass es fruchtbringend, segensreich ist, bei sich selber zu sein, sich auf sich selber zu besinnen, um diesen Verkehr mit sich selber zu suchen. Es ist hier wie ein Circulus vitiosus: Weil wir nicht mit uns selber verkehren, lernen wir unseren eigenen Wert nicht kennen - der selbe ergibt sich ja erst im Begreifen unserer Selbstverantwortlichkeit - und weil wir den eigenen Wert nicht kennen, verlieren wir immer mehr die Neigung mit uns selber zu verkehren, ziehen es vor, in einer mehr oder weniger geistreichen Begriffswelt zu leben die den Wirklichkeitssinn immer mehr verkümmern lässt. Eine Änderung, ein Umschwung in diesem fehlerhaften Zirkel kann hier nur kommen durch Zeigen der wahren Lehre. Es scheint mir das wichtigste Ergebnis im geistigen Leben unserer Zeit zu sein, dass sich in ihr immer mehr Anzeichen des Stutzens, des Suchens, der Nachdenklichkeit bemerkbar machen. Alle diese verschiedenen Ansätze verzehren sich bis jetzt freilich noch fruchtlos, weil sie nicht im Mutterboden des Begreifens, sondern im Treibsand des Fühlens wurzeln. Hier, im Bereich dieser Suchenden
liegt die Zukunft des Buddhismus. Aber denkt der Mensch nur wirklich, ist er wirklich in geistiger Not, und er hört die Lehre, so kann es wohl sein, dass er fähig wird dieses goldene Netz zu zerdenken, es in das flimmernde Spiel von Abendsonnen-Fäden aufzulösen. Nichts liegt dem wirklichen Denker ferner als gegen die Missstände einer im Lebensdurst ertrunkenen Welt zu eifern. Das überlässt er willig jenen Glaubenshelden, welche mit der Glut ihrer Gefühlswerte jene Umschmelzung herbei führen wollen, von denen jeder Stifter einer Glaubensreligion träumt, vorausgesetzt, dass er nicht am Kreuze selber noch wankend wird. Der wirkliche Denker kann nichts als zeigen, lehren: "So ist es!" Er kann nichts als geduldig warten bis er auf Geister stößt, die begreifen, die kongenial mitschwingen, wenn ihnen die wahre Natur des Lebens und seiner Werte dargelegt wird. Der gewöhnliche Mensch wird über diese Darlegung nur lachen oder sich gegen sie empören. Er kann eben nicht begreifen, dass man Lebens-Möglichkeiten unbenutzt lassen kann, ebenso wenig wie ein hungriger Handwerksbursche begreifen kann, dass man einen schmutzigen Groschen am Wege unberührt lassen kann. Man wirft ein: Aber dieser Schluss ist falsch. Alles geistige Leben ist ein Wachstum. Wie der Mensch in gewisse
physische Möglichkeiten hinein wächst, so wächst er in
gewisse gedankliche Möglichkeiten hinein. Was dem Kinde unmöglich
wäre zu begreifen, und erschöpfte man sich in den scheinbar
überzeugendsten Argumenten, das ist dem Manne ohne alle Argumente
selbstverständlich. Er ist eben hinein gewachsen. Ebenso hätte
es keinen Zweck, einer nichtbegreifenden Welt den Buddha-Gedanken mit
den scheinbar überzeugendsten Argumenten aufdrängen zu wollen.
Man kann nichts als zeigen, geduldig immer wieder zeigen, bis im Zeigen
das Wachstum dieses oder jenes Individuums genügend vorwärts
geschritten ist, um das begreifen zu können, was ihm jetzt noch als
unbegreifliche Perversität erscheint. Buddhismus ist Zucht, Selbstzucht auf Grund einer wirklichen Einsicht in das Leben und seine Werte. Darum: "Siegreich über
alle Gabe ist der Wahrheit Gabe"
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