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Vorwort

Das kleine Heft "A CRITICAL STUDY OF THE VINAYA" sorgte in den sechziger Jahren für einiges Aufsehen - aber wahrscheinlich nur in Asien. Der Verfasser ließ von seinem Namen nur die Anfangsbuchstaben nennen, um nicht gewissen Repressalien ausgesetzt zu werden. Wenn man das Thema betrachtet, so scheint es eigentlich gar nicht ungewöhnlich zu sein. Untersucht man aber die Sache etwas näher, schaut man auch mal hinter die mitunter gut geschlossen gehaltenen Kulissen, so wird man zweifellos Umstände erkennen, die eine Behandlung dringend erfordern. Wenn man als buddhistischer Mönch lebt oder auch wenn man die Robe wieder abgelegt hat - die Gründe sind oft verständlich - der (oder die) weiß, wie es ist, wenn Menschen in einer spirituell ausgerichteten Gemeinschaft leben. Aber allen dürfte klar sein, dass auch hier Theorie und Praxis mitunter recht konträr sind. Hierarchische Strukturen werden oft mehr betont als erkenntnisbasierte Fähigkeiten. Wer viel auswendig hersagen kann ist "wichtiger" als einer, dem das Auswendiglernen schwer fällt, was nichts über dessen meditative Fortschritte aussagt. In manchem Kloster (in Asien) ist ein westlicher Ordinierter nur eine Art Aushängeschild, das die Dāyakas dazu animiert, besseres und hochwertigeres Dāna zu geben. Viele der einheimischen Mönche sind derart von sich eingenommen, dass es ihnen regelrecht unmöglich erscheint, dass ein Westler jemals irgend welche Fortschritte im Dhamma machen könne. Schaut man sich die in Jahrhunderten gewachsenen Strukturen genauer an, so wird man vieles entdecken, was den Buddhismus eher abschrecken lässt, als einlädt - obwohl oft genug gesagt wird "ehipassiko" (komm und sieh [selbst]). Kritik ist in jedem Fall unerwünscht. Und Kritiker, seien sie auch noch so konstruktiv, werden ignoriert, beschimpft, verleumdet und oft genug genötigt, das Kloster, wenn nicht sogar den Orden zu verlassen. Tradition ist wichtiger als Ehrlichkeit sich selbst gegenüber, könnte man meinen. Es ist wärmstens zu empfehlen, sich bevor man kritisiert, mit den Ordensregeln, sowie den Umständen zu deren Entstehung zu befassen. Das wohl aussagekräftigste Werk hierzu dürfte der Mahāvagga des Vinaya sein. Hat man dieses Buch durchgearbeitet, so dürfte klar geworden sein, dass es dem Buddha beim Erlassen von Ordensregeln nicht darum ging, seine Mönche zu entmündigen, sondern das Regelwerk entstand, weil es immer wieder Mönche gab (und gibt!), die den Sinn der "Entsagung" nicht verstanden haben und deshalb Anleitung und Ermahnung, also Grenzen brauchten (und brauchen). Dann wird auch deutlich, dass der Buddha sagte, "man könne die kleinen und kleinsten Regeln erlassen". Das Prinzip ist einfach, aber schwer in die Praxis umzusetzen. Die dem Menschen - also auch den Ordinierten - innewohnenden drei zugrundeliegenden Triebe (Gier, Hass und Verblendung) bestimmen deren Handlungsweise. Demzufolge sind eben Regeln notwendig, um eine Art Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Menschen miteinander leben können - und zwar ohne Streit. Je uneinsichtiger die Ordinierten waren, um so absurder erscheinen die aufgestellten Regeln. Mal ehrlich: wer kommt schon auf den Gedanken, Sandalen aus Kristall oder gar Edelsteinen (Mvg 250) tragen zu wollen?

Ganz wichtig ist, darauf hin zu weisen, dass die vorliegende Arbeit nicht die Absicht hat, den Buddhismus, auch wenn nicht alles Gold ist, was da glänzt - und es gibt eine Menge glänzenden Goldes - in Misskredit zu bringen. Ganz im Gegenteil! Es soll gezeigt werden, dass Kritik, wenn sie konstruktiv ist, sehr wohl dazu verhelfen kann, den buddhistischen Ordinierten ein adäquates Dasein zu schaffen, als auch die buddhistische Lehre, den Dhamma, selber wieder attraktiv zu machen, ja ihn regelrecht wiederzubeleben. Hier sind nicht die oft schillernd bunten Versionen (beinahe hätte hier Abarten gestanden) einer Religion gemeint, die nur noch dem Namen nach "Buddhismus" sind, sondern hier wird ganz ausdrücklich Bezug genommen auf die ursprüngliche Lehre des Buddha. Der Theravāda-Buddhismus hat nur allzu oft den Anstrich bekommen, verstaubt und absterbend zu sein. Kein Wunder, wenn man beobachten muss, wie das Wort "Tradition" befolgt wird. Rein mechanisch werden Regeln befolgt, ja sogar noch weitere erfunden, um möglichst authentisch zu wirken. Und bei genau den selben Traditionalisten kommen Verstöße vor, die sehr ernst sind. Verwicklungen in politischen Angelegenheiten, Rechtsstreit in Bezug auf Immobilien, Korruption, Betrug und Intrige sind mittlerweile nicht mehr selten Anlass für Schlagzeilen in der lokalen Presse. Es wird auf das Buch von R. Gombrich "Der Theravāda-Buddhismus" verwiesen. Und noch einmal: es geht nicht darum, Missstände aufzuzeigen. Zweck dieser Arbeit ist es, dazu anzuregen, wie den buddhistischen Ordinierten ein Dasein im Einklang mit deren Regelwerk geschaffen werden kann. Sowohl hier in Europa, als auch in Asien selber.

Auch hierzulande sind kritische Stimmen an den Ordensregeln lauter geworden. Erstaunlicherweise stammen die lautesten von Nichtordinierten. Auf diese Stimmen wird hier absichtlich nicht eingegangen. Erstaunlich ist ebenfalls, dass es in Europa Ordinierte gibt, die sich fast vollständig davon "befreit" haben, was sie bei ihrer Ordination auf sich genommen haben: dem Regelwerk. Als ein Beispiel sei die Aussage angeführt "Ich bin je nach Erfordernis mal Bhikkhu oder Sāmaṇera, oder Theravādin oder Mahāyāna." Eine solche Einstellung ist eher nicht tolerierbar. Wenn sich ein Bhikkhu (hochordinierter Mönch) als Sāmaṇera (Novize) bezeichnet, hat er in diesem Moment seine Bhikkhuwürden abgelegt, das bedeutet, er ist nicht länger ein Bhikkhu. Aber es geht noch weiter: Da wird eine Lehrrede aus dem Zusammenhang gerissen, um der berechtigten Kritik am Fehlverhalten zu entgehen. Eines ist klar: wenn man als Ordinierter das Regelwerk einhalten kann, dann soll man es auch tun. Und dass dies sehr wohl möglich ist, das zeigen verschiedene, in Deutschland neu gegründete Klöster.

Mögen diese wachsen und als Anreiz dienen, und als ein Zeichen, dass die buddhistische Lehre nun endlich in Europa angekommen ist!

Es folgt eine vollständige Übersetzung von S. Jīvakas "A Critical Study of the Vinaya", welcher sich die eigentliche "Kritische Betrachtung" des Autors anschließt. Fehler, Unkorrektheiten, sowie Schreibweise und -stil mögen mit Nachsicht und Langmut erduldet werden. Konstruktive Kritik jedoch ist erwünscht und wird im Falle späterer Auflagen berücksichtigt werden.


Möge die vorliegende Arbeit Verständnis und Wissen aufkommen lassen - aber auch die Notwendigkeit aufzeigen, dass es ohne die Unterstützung der Laienanhänger unmöglich ist, als Ordinierter dem Vinaya gemäß zu leben - weder in Europa noch in Asien.

Santuṭṭho

 

Einleitung

Auf dem letzten Buddhistischen Konzil 1954 kam die Frage auf, ob man nicht eine formelle Revision des Vinaya machen sollte, um ihn der modernen Zeit anzupassen. Befremdlicherweise wurde dieser Vorschlag mehrheitlich von den Vorsitzenden ausgelacht und deshalb geschah diesbezüglich auch nichts.

Nun kann die buddhistische Welt in zwei Gruppen eingeteilt werden: den kleinen Bereich, in dem die Laien dem Jahrhunderte währenden Versprechen nachkommen und alle Bedürfnisse der Bhikkhus in und außerhalb der Vihāras erfüllen, sodass diese sich um nichts zu kümmern brauchen, dafür aber in sozialer Sicherheit leben, fähig, die mit ihnen gewachsene Tradition fortzuführen, sowie ihr Leben der Meditation, dem Studium und dem Schrifttum widmen können. Der andere, größere Bereich, umfasst den Rest der Welt, wo der Buddhismus nur einen schwachen Rückhalt hat, wo man auf dessen Wachstum hofft. Dort ist es in materieller Hinsicht weniger glücklich. In Ländern, wo Buddhisten eine religiöse Minderheit sind, und die Mönche umgeben sind von eher feindselig gesinnten Anhängern anderer Religionen, oder mit völliger Andersartigkeit konfrontiert werden, ist es offensichtlich, dass Bhikkhus und Sāmaṇeras, um existieren zu können, in weltlichen Dingen weitaus mehr Anteil nehmen müssen, als man sich vor 2.500 Jahren erträumen konnte. Damals lebten die ersten Mönche mit ihren Meistern im Wald und gingen mit ihren Bettelschalen in die nahe gelegenen Dörfer.

Bis ins heutige Jahrhundert finden Veränderungen statt. Diese vollziehen sich allmählich und sind relativ undeutlich. Wie auch immer, während der letzten fünfzig Jahre, durch den beispiellosen Fortschritt der Wissenschaft, mit schneller, rasanter Kommunikation und vor allem die ganze veränderte Ökonomie, sowie all die Probleme, die als Resultat der modernen speziellen Strukturen aufgekommen sind, haben eine Situation geschaffen, wo diejenigen, die es ablehnen mit der Zeit zu gehen, zurückbleiben, um zu sterben.

Nicht alle Länder sind gleichermaßen betroffen. Die sogenannten "Großmächte" und deren Abhängige haben naturgemäß viel größere Veränderungen und Auswüchse in ihrer Lebensweise zu erleiden als die kleineren, mehr abgeschiedenen Nationen, die zumeist in der Lage waren die Revolutionen zu ignorieren und lediglich ein Minimum an Modifikationen in ihrem Verhalten adaptierten. Die Effekte des modernen "Fortschrittes" sind deshalb zum Beispiel weniger bemerkenswert für Thailand oder Myanmar als in Sri Lanka oder Indien.

In Myanmar, Thailand und anderen Ländern mit ähnlicher Situation, wo es möglich ist, den alten Weg des Lebens fortzuführen und die Bedürfnisse nach Veränderungen zu ignorieren, scheint die Notwendigkeit eines revidierten Vinaya nicht offensichtlich zu sein. Aber ist es weise auf dem Konservatismus für die ganze Welt zu bestehen? Gibt es irgendein Begehren, dass sich der Buddhismus in Ländern ausbreitet, die bislang für ihn unzugänglich waren? In gewissen Gegenden scheint es tatsächlich ein wachsendes Begehren zu geben: junge Mönche können sich vorstellen, den Osten zu verlassen und ins Ausland zu reisen, um in Amerika, Europa und Großbritannien zu missionieren und den Dhamma, wo auch immer sie hinkommen mögen, zu verbreiten. Und sicherlich der Westen, versunken im Materialismus und schnell durch den Stress der rasanten Lebensumstände mental instabil werdend, würde großen Segen von der Lehre des Loslassens haben, sowie eine Korrektur seiner pervertierten Wertvorstellungen.

Die Lehre der Christen, welche die vorherrschende Religion des Westens ist, wurde im Laufe der Zeit derart verdreht, und die Anstrengungen der Kirche eine weltliche Macht unter dem Deckmantel einer geistlichen zu errichten, was nicht mehr den Wunsch nach Selbstentwicklung und Selbstbestimmung befriedigt, wie es deren Gründer tat. Aber die Kirche hat ganz raffiniert menschliche Verantwortung auf Seine Schultern gelegt, hat Text für Text, Parabel für Parabel verfälscht, die gelehrt hat, dass der Mensch an sich selber arbeiten mag, dass zumeist ein Glaubensbekenntnis an Ihn nicht genug ist und nicht im geringsten einen Menschen befreien kann. Das Resultat ist der heutige Abwärtstrend in den Sündenpfuhl des Materialismus, den dieses Jahrhundert derart beschleunigt hat, dass es aussieht, als würden die Menschen ganz sicher zu ihrem eigenen Untergang drängen, an nichts anderes denkend als an Geld und Macht.

Es wird etwas gebraucht, um den Verfall zu stoppen, bevor es zu spät ist. Die Lehre des Buddha könnte einiges dazu beitragen, um als Bremse zu wirken, wenn man sie auf eine Art hinüber bringt, die für den westlichen Geist akzeptabel ist - und der westliche Geist ist dem Osten weniger verständlich als der östliche Geist dem Westen - und darüber hinausgehend, wenn seinen Vertretern und Lehrern Respekt gezollt wird, nicht nur für ihre Fähigkeit ihre Botschaft zu verkünden oder für ihre intellektuellen Methoden, als auch für ihren Charakter und ihr Benehmen - in anderen Worten, wenn sie selber den Geist des Dhamma leben.

Das bringt uns zurück zum Thema, worüber dieses Heft handelt. Der Vinaya existiert über 2000 Jahre; einiges daraus muss sicherlich auf die Zeit des Buddha selber zurück zu datieren sein, dennoch ist es schwer zu glauben, dass die ganze massive Arbeit einzig und allein von ihm ausgegangen sei. Es ist eher anzunehmen, wie es auch manche tun, dass von Zeit zu Zeit den älteren Mönchen oder Gesetzeskundigen, Vorfälle geschildert wurden, die dann Vorschriften erließen oder modifizierten, bis sie dann im 2. Jh.v.Chr. erstmals niedergeschrieben wurden. Wie auch immer, es ist wünschenswert zu glauben, dass alles aus dem Munde des Buddha stammt, aber es macht wenig Unterschied. Eins steht außer Frage: im Laufe der Zeit wurden Regeln formuliert, um einem Vergehen entgegen zu treten, und dem folgte eine zweite Regel, um sie zu ändern oder zu modifizieren, weil in gewissen Umständen striktes Anhaften daran unnötige Härten heraufbeschworen hätte. Des weiteren wird berichtet, dass Ānanda vom Buddha auf dessen Sterbelager angewiesen wurde, dass die kleinen und kleinsten Regeln erlassen werden können, sofern der Orden dies wünsche. Unglücklicherweise versäumte es Ānanda zu fragen, welche Regeln dies seien und als die Mönche diesbezüglich keine Übereinkunft treffen konnten, entschied Mahā-Kassapa, dass keine Veränderung gemacht werden soll. Wie auch immer, diese Geschichte ist bezeichnend, denn sie zeigt, dass Er (der Buddha) fühlte, dass all die Regeln so nicht immer und ewig anwendbar oder notwendig sein können.

Das Ergebnis: Man kann nur glauben, dass der Buddha sofort viele der Regeln neu fassen oder ganz abschaffen würde, wäre er heute noch erreichbar und wir ihn um Rat fragen könnten, wie es zu seinen Lebzeiten möglich war. Die durch die Zeit eingetretene völlige Veränderung der Umstände ließe nichts anderes zu. Der Buddha würde Änderungen vornehmen, vor allem wenn es sich um solche Regeln handelte, die schwierig oder unmöglich einzuhalten sind, auch wenn es sich um strengere handeln sollte.

Es gibt derzeit drei Alternativen zum Überarbeiten des Vinaya in Anbetracht der modernen Zeit. Mindestens zwei davon schaden bedauerlicherweise den Vertretern des Buddhismus in fremden Ländern oder in der Anwesenheit ausländischer Besucher in deren eigenem Land.

Die erste Alternative ist die Veränderungen in der Welt zu ignorieren. Die zweite ist Täuschung und Heucheleien anzuwenden, dem Buchstaben zu folgen, aber nicht dem Sinn der Regel. Die dritte ist die Regeln zu ignorieren, die nicht länger an gewissen Orten als vernünftig gelten können.

Die erste Alternative kann nicht außerhalb buddhistischer Länder praktiziert werden. Aber innerhalb weniger Jahre werden auch hier, westliche und kommunistische Ideen einfließen und sich ausbreiten. Die ökonomische Situation wird sich verschlechtern, die Unterstützung der Laien für eine Masse von Nicht-Arbeitenden wird nicht länger fortzuführen sein. Die Überzeugung "wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" steht für raschen Gewinn, so dass sogar die Aristokratie anderer Länder, die so lange selbständig war, jetzt gezwungen ist, Arbeitsämter aufzusuchen und Jobs zu tun, die weit davon entfernt sind, was sie sich jemals haben vorstellen können - nicht einmal in Gedanken.

Die zweite Alternative bringt den Saṅgha zwangsläufig in Misskredit. Des weiteren sind Täuschung und Heuchelei Formen von Lüge und daher ein Regelbruch. Diese Praxis zerstört die Ausbreitung des Interesses am Buddhismus und die Mehrung der Nachfolger des Dhamma. Wie sonst kann es fortgeführt werden ohne sich in Komplikationen zu verwickeln?

Die dritte Alternative ist zur Zeit die einzig mögliche in nicht-buddhistischen Ländern und besonders in der westlichen Welt: aber es ist gefährlich und es gibt keine Anzeichen, wo man aufzuhören hat. Ignorierte und modifizierte Regeln werden zu einer Art privater Gerechtigkeit, wenn keine Anstrengungen gemacht werden, Bestimmungen zu diesem Thema zu erlassen - und das menschliche Element ist nicht berechenbar. Zu dessen Bequemlichkeit mag je nach Notwendigkeit eine Vorscrift ersetzt werden, und in anderen Fällen ist es sicherlich vertretbar, den Vinaya einschließlich des Pātimokkha zu ignorieren. In gewisser Hinsicht verliert er zwangsläufig an Autorität und so sinkt auch der Respekt ihn einzuhalten gleich mit. Noch einmal: Der moderne Saṅgha sollte sich der Kritik der Völkergruppen öffnen, unter denen er seine Lehre verbreiten möchte.

Die einzige vernünftige Alternative ist eine radikale Überarbeitung des Vinaya. Wie es zur Zeit aussieht, kann nicht einmal der Pātimokkha in allen Details eingehalten werden. Einige Verstöße, die von den Bhikkhus in verschiedenen Ländern zu gestehen sind, fallen notgedrungen unter die Überschrift "Zu Fall gekommen" (Pārājikā), andere unter Pācittiya - und was soll gut daran sein, Reue vorzutäuschen, wenn man weiß, dass man diesen Regelbruch erneut begehen wird?? Das macht die ganze Ordens-Disziplin zum Gespött.

Und noch einmal: im Vinaya insgesamt gibt es Vorschriften, die nicht länger zutreffen: die Bedingungen die dazu verlocken existieren nicht mehr. Andere Regeln, wenn sie auf dem Papier und nicht im Geist behalten werden, würden große Ungerechtigkeiten hervorrufen, weil, obwohl sie die selben Auswirkungen haben, dennoch die Ursachen verschieden sind. Dies betrifft teilweise die Ablehnung diverser Personen zur Ordination. Als Ergebnis der modernen Kriegsführung erleiden möglicherweise vollkommen unschuldige Personen - einschließlich Zivilisten und Rettungsdienst - Verletzungen, die es ihnen verbieten, ordiniert zu werden, sollten sie zum Buddhismus konvertieren und sich vom Weltlichen abwenden wollen. Bisher, wenn der Buchstabe des Gesetzes auf sie angewandt wurde, musste es ihnen verboten werden.

Der Zweck dieser Arbeit ist es, in Kürze und Einfachheit die relevanten Vinaya-Regeln darzulegen, angefangen mit dem gesamten Pātimokkha und gefolgt von den Regeln, die gruppiert sind, je nachdem welches Thema sie betreffen und aus welchen Texten sie stammen. Natürlich ist es weder nötig noch praktisch, den gesamten Vinaya auszuarbeiten. Vieles ist nicht zweckdienlich, wie zum Beispiel die Art der internen Saṅgha-Disziplin und die Vielfalt der kleinsten Regeln, sowie die Regeln bezüglich der Nonnen, seit deren Orden kaum noch existent ist. Was uns hauptsächlich betrifft ist hingegen, wo sich Einhalten oder Verstoß auf die Ausbreitung des Dhamma oder den Ruf des Saṅgha auswirken. Und wer kann damit herum streiten? Solche Regeln, die gründlicher Kommentierung bedürfen sind mit einem doppelten Stern versehen, solche von Interesse, aber ohne Bedarf nach Revision, haben ein einfaches Sternchen. Der Kommentar folgt im Anschluss des Regelwerkes und gibt Begründungen für die mögliche Unangebrachtheit, sowie Vorschläge zur Überarbeitung. Nachdem die hauptsächlichen Gruppen bearbeitet wurden, folgt ein Gemisch von solchen Regeln, die aus den Texten entnommen sind, sofern sie von irrelevantem Material umgeben sind.

Diese Vorgehensweise mag dogmatisch klingen, aber weder ist derartiges beabsichtigt, noch dass es eine Ein-Mann-Besprechung oder eine Ein-Mann-Reform sein möge. Was respektvoll nahegelegt wird ist, dass eine Kommission von langjährigen Mitgliedern des Saṅgha gegründet werden möge, deren erforderliche Qualifikation sein sollte, dass jeder von ihnen außerhalb als auch innerhalb Indiens gereist sein sollte, so dass diese aus erster Hand Kenntnisse der Umstände haben, welche zu diskutieren sind. Und diese Kommission möge die vorliegende Schrift als eine Art Handbuch und Leitfaden benutzen. Sofern möglich, sollten dieser Kommission ordinierte Vertreter westlicher Länder angehören, wenn dies nicht möglich ist, sind Bhikkhus, die für einige Jahre im Ausland gelebt haben, wünschenswert.

Solch eine Kommission könnte den Vinaya überarbeiten und einen neuen herausbringen. Aber aus Furcht eine Ordenspaltung hervor zu rufen zwischen den Anhängern des Althergebrachten und denen der Neuerungen, lässt man es in den Ländern, wo sich die Bedingungen änderten beim letzteren, und wo Bhikkhus das Regelwerk ohne Falschheit befolgen können oder ohne auch nur eine davon ignorieren zu müssen, da ist kein Bedarf an einer neueren Version, wenn dem nicht einstimmig vom Saṅgha dieses Landes zugestimmt wird.

Nur dies kann den Wert des Dhamma aufzeigen und aufrecht erhalten. Kein Teil der Welt ist noch länger vor irgend einem anderen Teil verborgen, wie es in der Vergangenheit war. Touristen kommen und gehen wieder nach Hause mit Geschichten, die sie oftmals in deren Lokal-Nachrichten veröffentlichen. Und diese Storys schließen Kritik nicht aus. Soldaten sind stationiert und schreiben ihren Familien und Freunden, was sie gesehen und gehört haben, und fügen ihre freie Meinung hinzu. Delegationen von Gewerkschaften, sowie Vertreter des Parlaments kommen und beurteilen den Fortschritt der Länder und Menschen die sie besuchten - allerdings so wie sie es erachten.

Der Buddhismus muss sich entweder ausbreiten oder sterben. Wenn er sich nicht anpasst wird er sterben - das ist ein Naturgesetz. Mittels Anpassung wird der Geist des Dhamma aufrecht erhalten, der Geist, den der Buddha lehrte - und nur Gutes kann daraus erwachsen.

Abschließend, die dritte der Dasa Samyojana, oder Zehn Fesseln der Existenz, ist sīlabbata-parāmāsa, das Anhaften an bloßen Regeln und Ritualen.

Wie es aussieht sind sich die fähigen Gelehrten einig, dass der älteste Teil des Vinaya und möglicherweise der gesamten buddhistischen Schriften, der Pātimokkha ist. Und der Pātimokkha ist eine Zusammenfassung des Suttavibhaṅga, wo nur die Umgangs-Regeln gegeben sind und die Erzählungen erwähnt werden, welche die Begründung zum Ausdruck bringen, die zum Erlassen der verschiedenen Regeln geführt hat. Diese 227 Regeln werden seit frühester Zeit zwei Mal monatlich bei den Versammlungen der Bhikkhus rezitiert, die dann aufgefordert sind, untereinander jegliche Verstöße zu gestehen, sowie Rüge oder Bestrafung zu akzeptieren.

Mit diesen Benehmens-Regeln war beabsichtigt Anstand und Würde im Benehmen der Mönche und Nonnen aufrecht zu erhalten, während der Orden als Ganzes nicht in Misskredit gebracht wird oder Anlass zur Beschwerde für die Laien gibt. Damals, vor nahezu 2.500 Jahren, wie auch heute sind die Menschen recht schnell dabei, beim geringsten Anlass Fehler und Missbrauch zu finden. Scheinbar ragen Fehler immer deutlicher hervor als Tugenden, denn diese werden kaum wahrgenommen. Wenn der Dhamma verbreitet wird, würde dies deshalb eine Hauptangelegenheit sein - und es ist heute genau die selbe Angelegenheit, die auch die vorliegende Arbeit veranlasste.

Es gibt keine Anhaltspunkte anhand derer man jetzt feststellen kann, wann und von wem die Regeln formuliert wurden. Wie bereits gezeigt, sind sie nicht alle gleichermaßen vom Buddha gekommen. Zweifellos aber sind die meisten schwerwiegenden Vergehen durch ihn per Regelerlass behandelt worden. Man ist verwundert, dass nicht einmal die "gemäßigten Mönche" zeitweilig ein Gremium formten, um das Benehmen der vielen halbzivilisierten Scharen zu kontrollieren und zu kodifizieren, die aus dem Dschungel kamen, um in den Orden einzutreten und die unachtsam auf die einfachsten sozialen Formen waren, als auch für die anderen, die dachten, sie könnten sich weiterhin so benehmen, als wären sie Laien. Dann, vielleicht wegen der "gemäßigten" Mönche, weniger weil sie sich Autorität anmaßten, kamen sie überein, alle Entscheidungen dem Buddha in den Mund zu legen. Das ist, wie gesagt, nur eine Vermutung die keine Beweise als Grundlage hat, obwohl es keine unmögliche Annahme ist, wenn man einen Vergleich anstellt zwischen den Vergehensarten mit welchen der Buddha selber zu tun hatte und denen, worüber sich die "gemäßigten" Mönche beschwerten.

Abseits von dieser Idee wird das ganze Problem gründlich von Frau I.B. Horner diskutiert, und zwar in der Einführung ihrer 1938 heraus gegebenen Ausgabe "Book of the Discipline". Sie bringt folgenden Schluss: "Es war wichtig, dass die Mönche weder ihre Abhängigkeit von den Laien missbrauchten, noch die Anhänger der anderen Religionen gegen sich aufbringe, aber sie sollten ihren Lebensstil so gestalten, dass sie keinen Anlass zu Beschwerden geben." (S. xvii). Eine Sache ist erwähnenswert: die Vernunft der Regeln innerhalb der Grenzen der Erkenntnis und den zeitlichen Bedingungen zu denen sie geformt wurden. Ganz sicher - sollte eine solche Vernunft nicht erneut bei der Anpassung des Regelwerkes an die veränderten Bedingungen und der fortgeschrittenen Erkenntnis gezeigt werden?

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