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Buddhismus ist Religion


Eins steht fest: Mit dem modernen Menschen sieht es auf religiösem Gebiet noch schlechter aus als auf sozialem, und der religiöse Wiederaufbau ist noch notwendiger als der soziale. Warum? Weil die Wurzel des Religiösen tiefer geht als die Wurzel des Sozialen, weil der Mensch seiner innersten Wesenheit nach mehr ein religiöses als ein soziales (oder wie Aristoteles sagt: ein politisches) Lebewesen ist. Man kann sich wohl vorstellen, dass jemand außerhalb jeder sozialen Gemeinschaft, etwa als ein Robinson lebt, und dabei doch ein vollwertiger Mensch ist. Man kann sich aber nicht vorstellen, dass jemand ohne jede Religion noch ein vollwertiger Mensch bleiben kann. Denn die religiöse, nicht die soziale Anlage ist letzten Grundes das, was den Menschen vom Tier unterscheidet. Sozial veranlagt ist das Tier auch, oft sogar weit höher als der Mensch; es ist aber nicht religiös veranlagt, und so liegt in der Religion letzten Endes die Blüte alles Menschtumes, und diese Blüte darf nicht verkümmern.

Darum sagen wir noch einmal: Eins steht fest - wir brauchen eine neue Religion! Und weshalb brauchen wir sie? - Weil die alte nicht mehr passt. Und weshalb passt sie nicht mehr? Weil wir aus ihr hinaus gewachsen sind - im Denken. Unser Denken erlaubt uns nicht mehr die Dogmen der alten Religion für Wahrheit zu nehmen. Wenn wir auch gerne wollten, der Verstand verbietet es, und der ist unbestechlich.

Das Symbol des Glaubens ist das Dogma; denn der Glaube, weil mit der Wirklichkeit in Widerspruch stehend, bedarf des Dogmas, eben um seine Autorität gegenüber der Wirklichkeit geltend machen zu können. Das Symbol des Dogmas ist die Kirche. So sind wir von vornherein imstande, eine Antwort auf die Frage zu geben: Wie darf die neue Religion nicht aussehen? Worauf die Antwort lautet: Sie darf nicht Kirche sein und darf auch keine Möglichkeit in sich tragen, zur Kirche zu erstarren. Das bedeutet: Sie darf nicht auf dem Dogma beruhen, und das: Sie darf nicht Glaubensreligion sein.

Ist denn aber Religion überhaupt möglich ohne Glauben? Sind Religion und Glauben nicht gleichwertig, etwa wie Tag und Sonne.

Mit dieser Frage treten wir an unsere eigentliche Aufgabe heran. Das Mittelalter, das dunkle, ist die Zeit gläubiger Religiosität - eine Zeit großer, aber schrecklicher und gewaltsamer Einheitlichkeit zwischen Glauben und Wissen. Diese Einheitlichkeit, weil sie nicht auf dem Einklang mit der Wirklichkeit beruhte und daher Gewalt zu ihrer Aufrechterhaltung benötigte, zerbröckelte an den sich aus diesem Widerspruch ergebenden Reibungen. Ein neues, sich der Wirklichkeit bzw. der Erfahrung anpassendes Wissen begann. Aus den Trümmern der Scholastik arbeitete sich eine neue Weltanschauung hoch, die mit dem Umsturz des astronomischen Weltbildes einsetzte und nun in unseren Tagen in der so genannten Relativitätstheorie ihren vorläufigen Abschluss gefunden hat. Das Ergebnis dieser naturwissenschaftlichen Umwälzung, die alle diese Jahrhunderte zu ihrer Reifung gebraucht hat, ist kurz dieses: Es gibt keine absoluten Werte. Die Naturwissenschaft und ihre Auffassung des Weltgeschehens durchflutet wie ein ungeheurer Strom das Denken der modernen Menschheit und bringt diese Menschheit, wenn sie sich überhaupt die Mühe nimmt zu denken, in unversöhnlichen Widerspruch mit der Forderung der alten Religion, die eben auf dem Glauben an das Absolutum "Seele" bzw. "Gott" beruht.

Wissenschaftliches Denken besteht letzten Grundes in einer Anpassung an die Wirklichkeit. Dass die Naturwissenschaft bei der Schaffung ihres neuen Weltbildes recht gedacht hat, geht daraus hervor, dass ihre Anpassungsmöglichkeiten an die Wirklichkeit und dem entsprechend die Fähigkeit des Vorausberechnens gestiegen ist. Weiss man auch nicht, was das ist, was man unter den Händen hat; sind auch alle Begriffe, mit denen die Wissenschaft arbeitet, nur so genannte Arbeitshypothesen, so weiss man doch sehr wohl, wie man das, was man unter den Händen hat, gebrauchen kann, und dieses Ergebnis ist erzielt worden durch die allmähliche Überführung der alten starren Gedankenwerte in bewegliche, der Absolutheiten in Relativitäten.

Religion, soll sie wirken, darf mit der Wirklichkeit nicht in Widerspruch stehen. Diese Forderung war so lange nicht dringend, wie das wissenschaftliche Denken selber noch im Zustand der Unwirklichkeit, d.h. im Glauben an absolute Werte. Die bestehende Einheit zwischen Religion und Wissenschaft, die das Mittelalter bot, verdankte es der Unwirklichkeit seiner Wissenschaft, die in ihrer Art mit den gleichen dogmatisch-absoluten Werten arbeitete, wie die Religion auch. Die Naturwissenschaft hat nur in Jahrhunderte langen Wehen alle starren Werte ausgestoßen, sich völlig verbeweglicht, und wir stehen nunmehr vor der Frage: Was machen wir mit diesen rückständigen starren Glaubensresten, genannt Religion? Was machen wir mit diesen Absolutheiten "Seele", "Gott", die in das moderne Denken hinein ragen, wie die stehen gebliebenen Trümmer einer untergegangenen Welt?

Tatsache ist: Keine Wissenschaft kann etwas gegen, kein Glauben etwas für das Dasein Gottes beweisen. So scheint die ganze Frage zur Unlösbarkeit verurteilt zu sein, und Gleichgültigkeit gegenüber aller Religion zur Notwendigkeit zu werden. Aber das wäre voreilig geurteilt; denn die nächste Frage des unvoreingenommenen Denkers wird sein: Sind denn Gott und Religion gleichbedeutend? Muss man sich denn immer mit Gott ins reine setzen, ehe man zur Religion kommen kann? Geht der Weg zur Religion notwendig durch Gott?

Das menschliche Denken hat sich in die Vorstellung, dass Religion der Glaube an Gott sei, oder philosophischer ausgedrückt: dass Religion das Verhältnis des Menschen zu Gott, das Verhältnis des Endlichen zum Unendlichen - beiläufig eine Widersinnigkeit; denn beide haben überhaupt kein Verhältnis - bedeute, so verrannt, dass man an die Möglichkeit zur Religion zu kommen unter Ausschaltung des Gott-Begriffes, überhaupt gar nicht denkt und alle Kühnheit religiöser Neubildung in bloßen Variationen des menschlich-göttlichen Verhältnisses verpuffen lässt. Damit wird dann der Mensch vor die beiden Ausschließlichkeiten gestellt: entweder bedingungslos zu glauben, oder ebenso bedingungslos Religion überhaupt zu verwerfen.

Wir fragen: könnte nicht jeder Denkende auf den Gedanken kommen, dass Religion gar nicht im Gottglauben, sondern im Menschtum seine Wurzel hat? Und so tun wir nunmehr die Frage, welche die Menschheit seit unvordenklichen Zeiten hätte tun müssen, und welche sie unbegreiflicherweise immer wieder nicht tut: Was ist Religion?

Dass man uns nicht falsch versteht: Getan worden ist diese Frage unendlich oft. Aber nie unvoreingenommen, sondern immer, wie man im Telegrammstil sagt, mit bezahlter Rückantwort. Wir kennen diese Rückantwort in tausend und abertausend wechselnden Formen: Religion ist Gottglaube, bzw. das Verhältnis des Menschen zu Gott.

Diese Antwort ist durchaus ungenügend, weil voreingenommen und weil aus dem Bereich der Wirklichkeit heraus tretend. Die Wirklichkeit aber ist unser einziger und höchster Richterstuhl. Verlassen wir sie, so begeben wir uns auf die hohe See des Gemeinten und Geglaubten, wo jeder Windstoß uns hin und her wirft. Zu einem solchen Schritt darf man sich nur entschließen, wen durchaus kein andere Möglichkeit bleibt.

Welche Möglichkeit sollte dazu zwingen? Wir antworten: Das Suchen des Menschen!

Was einer sucht, das kennt er nicht. So können wir vorläufig eine ganz allgemeine Antwort auf die Frage geben: Was ist Religion? Und diese Antwort lautet: Religion ist Ausdruck des menschlichen Suchens, d.h. dessen, was der Mensch nicht kennt und was er zu kennen hofft, wenn er imstande ist, über dieses Leben hinaus zu sehen.

Und was ist das, was der Mensch nicht kennt? Wir antworten: Von den Erscheinungen des Lebens kennt der Mensch durch die Hilfe der Wissenschaft viel zu viel; aber er kennt das Beste nicht, nämlich den Grund des Lebens, den Urgrund des Lebens, die Kraft, aufgrund deren Leben da ist und sich selbst erlebt.

In diesem Sinne kann man sagen: Religion ist Kraftlehre, Lebenslehre, und weil die Menschen diese Kraftlehre aus der Wirklichkeit heraus nicht haben schaffen können, so haben sie das Transzendente, den Glauben, d.h. "Gott" zu Hilfe genommen.

Das muss man wohl festhalten, und bei der ganzen Bewertung der Glaubensreligionen darf man nie vergessen, dass "Gott" durchaus nichts ist, als ein gedanklicher Stützbegriff, den man notwendig der Wirklichkeit anlegen musste und muss, solange diese den nötigen inneren Halt, das nötige Rückgrat nicht in sich selber hatte. Dieses Rückgrat, das allein der Wirklichkeit in sich selber Halt geben könnte, ist eben dieser Urgrund des Lebens, die Kraft, durch welche Leben da ist und sich selber lebt. Die moderne Wissenschaft hat dieses vielleicht als ihren Haupterfolg zu verzeichnen, dass sie klar erkennt, dass die Frage, welche das Wesen aller Religion ausmacht, garnicht ihr Gebiet ist, und wirklich Wissenschaft bleibt sie nur, so weit und so lange sie an dieser Erkenntnis fest hält. Das Gebiet der Wissenschaft beschränkt sich auf das, was sich in irgend einer Hinsicht sinnlich dar stellt, und was daher verglichen, gemessen und voraus berechnet werden kann. Dieses Gebiet nennen wir "Rückwirklichkeit". Der Urgrund des Lebens, die Kraft, durch die Leben da ist, kann nie sinnlich sein, also auch nicht Gegenstand der Wissenschaft werden. Kraft ist das Wirkliche am Leben mit den zahllosen Rückwirklichkeiten, Religion mit der einzigen Wirklichkeit des Lebens, eben der Kraft durch die Leben da ist.

Damit kommen wir auf den Beginn unserer Abhandlung zurück.

Wir sagten dort, dass wir eine neue Religion gebrauchen, weil die Wissenschaft uns eine neue Weltanschauung gegeben hat. Das ist nun nicht in dem Sinne zu verstehen, als ob die neue Religion sich dem neuen Weltbild anpassen oder gar aus ihm hervor gehen müsste - Wissenschaft, weil nur auf das Sinnliche gehend, kann nie eine Religion liefern - sondern dahin, dass die neue Religion, diesem neuen Weltbild welches ja fraglos eine gewisse Seite des Weltgeschehens von sich gibt und sie richtig gibt, wie sich aus der Fähigkeit des Vorausberechnens erweist - ich sage: dass die neue Religion diesem neuen Weltbild nicht widersprechen darf. Religion, als auf den Urgrund des Lebens gehend, und Wissenschaft, als auf die Erscheinungen des Lebens gehend, haben getrennte Bereiche, von welchen nur eine einzige Beziehung verlangt wird: dass sie einander und damit dem Wirklichkeitssinn nicht widersprechen und dass beide, Religion und Wissenschaft, sich recht begriffen haben, wird sich daraus ergeben, dass sie nie mehr miteinander in Streit geraten.

Nun erhebt sich die Frage: Ist denn das Begreifen dieses Urgrundes d.h. Religion, eine unbedingte Notwendigkeit für den Menschen? Könnten seine geistigen Bedürfnisse nicht aus dem sinnlichen Gebiet des Weltgeschehens, d.h. aus der Wissenschaft heraus gestillt werden?

Auf diese Frage erwidern wir: So wenig ein Gehirn unter der Glasglocke, d.h. geschützt vor allen fremden Gedankeneinflüssen freiwillig auf die Gottidee kommen würde, so wenig würde es freiwillig auf die Frage nach des Lebens Urgrund verzichten. Dass man den Verzicht auf Religion und ihren Ersatz durch wissenschaftliche Nahrung überhaupt für möglich hält, ist eben durch diese unglückliche und folgenschwere Gleichsetzung von Religion und Gottglauben bedingt. Religion ist Notwendigkeit, Gottglaube ist keine Notwendigkeit.

Wirkliche Sittlichkeit kann nur aus der Religion fließen. Und warum das? - Sittlichkeit ist, kurz gesagt, Selbstlosigkeit. Alles andere, was man sonst dem Begriff "Sittlichkeit" in die Schuhe schieben will, wird sich über kurz oder lang als irrig erweisen. Sittlich sein heisst selbstlos sein und weiter nichts. Selbstlos sein, heisst Zwang gegen sich selbst üben; denn des Menschen Wesen steht auf Selbstsucht, ja ist Selbstsucht.

Ich muss den Urgrund des Lebens, d.h. mich selber begriffen haben, um wirkliche Sittlichkeit zu begreifen; denn nur aus diesem Urgrund kann sich das Motiv ergeben, warum ich sittlich sein muss. Womit sich dann unsere obige Definition von Sittlichkeit dahin erweitert, dass wir sagen: Sittlich sein heisst selbstlos sein müssen und dieses "muss" stammt einzig und allein aus der Religion. Wirkliche Sittlichkeit muss sich als gedankliche Notwendigkeit aus der Religion entwickeln und es gibt nur ein Kennzeichen für die Wirklichkeit einer Religion: dass sie Sittlichkeit als gedankliche Notwendigkeit auswirft.

So geben wir nunmehr auf die Frage, warum wir eine neue Religion gebrauchen, eine zweite Antwort: Wir brauchen eine neue Religion, weil die alte versagt hat. Und sie hat versagt, weil sie aufgehört hat, aus sich selbst heraus den der Menschheit notwendigen Gehalt an Sittlichkeit zu liefern.

Wir stehen den Unmenschlichkeiten der Weltkriege, in welchen Religion nur als Werkzeug staatlichen Machthungers gebraucht, d.h. gemissbraucht wurde, noch zu nahe, um auf die Frage, warum Religion versagt hat, eine historisch-ruhige Antwort geben zu können. Die innere Empörung wallt noch zu heftig nach, um eine solche Antwort möglich zu machen. Aber wir wiederholen es mit äußerster, unbeirrbarer Bestimmtheit: Sie hat versagt! Und was soll das Salz, wenn es nicht mehr salzt? Es ist kein Salz mehr. Was soll der Weihrauch, wenn er nicht mehr duftet? Er ist ein Weihrauch mehr. Eben dieses schmähliche Versagen der Religion ist es ja, das die atheistischen Richtungen in ihren Versuchen, Religion überhaupt zu entfernen, bestärkt. Selbst angenommen, die Menschheit könnte ohne Religion leben - ohne Moral kann sie nicht leben.

Fassen wir das Wesen dieser neuen Religion in einem einzigen Stichwort zusammen: diese neue Religion muss wirklich sein, d.h. sie darf der Wirklichkeit, wie wir sie durch Erfahrung kennen, nicht widersprechen, und sie muss wirken, muss Moral wirken, muss Sittlichkeit als gedankliche Notwendigkeit aus sich selber hervor gehen lassen. Erst wenn die Frage nach dem Urgrund des Lebens, in welcher das Wesen aller Religion aufgeht, eine Beantwortung in diesem Sinne gefunden hat, kann man von Religion reden. Alles andere, mag es noch so gut gemeint sein, ist Phantasterei und hat vor der Wirklichkeit keinen Bestand.

Unsere Aufgabe ist damit vorgezeichnet - aber wie sie lösen? Wie kommen wir zu diesem Urgrund des Lebens? Die Wissenschaft berührt die Frage gar nicht, kann und darf sie gar nicht berühren, weil sie sich selber damit unmöglich machen würde, und wo sie es doch tut, da bringt sie sich eben selber in Gefahr; und der Glaube löst dieses Problem durch eigenmächtiges Hinausspringen aus der Wirklichkeit, eben durch Glauben. Gibt es einen dritten Weg? -

Wie es zwischen Sinnlichem und Übersinnlichem ein Drittes gibt: mein eigenes inneres Leben, mein Denken, mein Bewusstsein, so gibt es auch zwischen dem beweismäßigen Wissen der Wissenschaft und dem Glauben der Religionen ein Drittes: das unmittelbare Erleben. Mein Denken, mein Bewusstsein ist weder sinnlich noch übersinnlich, weder Beweis noch Glaubensgegenstand, sondern es ist es selber, als Erlebnis. Erlebnis ist die wahre und einzige Wirklichkeit; aus ihm muss die neue Religion kommen, soll sie überhaupt kommen. Erlebnis ist notwendig Selbsterlebnis. Im Selbsterlebnis öffnet sich der Weg zum Untergrund des Lebens, vorausgesetzt, dass wir den Lehrer finden, der uns diesen Weg weist.

Unsere Begriffsbestimmung der Religion besagt durchaus nichts als dass wir, um aus dieser Gleichung etwas machen zu können, des Lehrers bedürfen. Dieser Lehrer ist der Buddha, und seine Lehre ist das, was wir Buddhismus nennen.

Es würde die Aufgabe, die wir uns mit diesem Aufsatz gestellt haben überschreiten, wenn wir hier nun eine Darstellung der Buddhalehre geben wollten. Hier mag es genügen hervor zu heben, dass der Buddha in unmittelbarem Selbst-Erleben den Lebensdurst als die Kraft begriffen hat, aufgrund deren Leben sich selber lebt und er-lebt, und dass er damit den Urgrund des Daseins (nicht als Welt-Dasein, sondern als Ich-Dasein) begriffen hat. Alles Wirkliche ist Erlebnis; jedes Erlebnis spielt sich in der Persönlichkeit ab und nicht in Allgemeinheiten, mögen sie heissen wie sie wollen. Buddhismus gibt jene wirkliche Religion, die in einem Erlebnis des Menschen sich selber genügend besteht. Dass er aber hiermit etwas Wirkliches gibt, das beweist sich durch sich selber damit, dass er etwas gibt, das wirkt. Denn die neue Einsicht, die der Buddha mit seiner Anatta- und Kamma-Lehre gibt, wirft jene wirkliche Moral aus, bei welcher sich Selbstlosigkeit als gedankliche Notwendigkeit ergibt. Hier muss ich selbstlos sein, nicht weil Gott es fordert, sondern weil die neue Einsicht mich zur Selbstlosigkeit zwingt. Hier schwingt nicht die Welt, nicht Gott - hier schwingt mein eigenes Denken die Knute, und ob ich will, ob ich nicht will, ob ich leicht oder freudig, ob ich widerwillig oder jammernd folge - ich muss selbstlos sein, will ich mir nicht den Stachel ins eigene Fleisch rennen. Und versündige ich mich noch so oft durch Taten der Selbstsucht an mir selber, immer wieder zwingt mich mein Denken zur Selbstlosigkeit zurück.

Das Verhältnis des Menschen zu sich selber, ohne Deutung ein inhaltloses Rätselwort, begreift sich hier in der Lehre des Buddha als Sittlichkeit selber. Und das ist der Stempel der Vollkommenheit, den diese einzige Lehre an sich selber trägt, dass sich in ihr Sittlichkeit und Religion derart schließen, dass in ihr selber Religion zur Sittlichkeit wird. Hier in dieser neuen Einsicht, die der Buddhismus eröffnet, stehen Religion und Sittlichkeit als gegebene Einheit da, und bieten damit das Höchste was der Menschengeist zu vergeben hat: die wahre Dreieinigkeit von Erleben, Wollen, Hoffen, wie sie sich nur aus einer vollen Einsicht in die Wirklichkeit ergeben kann. Volle Einsicht in die Wirklichkeit ist nur da, wo Einsicht in die Kraft da ist, aufgrund deren Wirklichkeit, d.h. Leben sich selber erlebt; womit wir denn auf den Anfang dieser Abhandlung zurück kommen.

Das Elend aller Religion beruht auf ihrer Gleichsetzung mit dem Gottglauben, welcher letztere entweder blinden Glauben oder ebenso blindes Verwerfen verlangt, das Weltgeschehen aber bietet keine Begründung, weder für das eine, noch für das andere; es lehrt nichts als Anfangslosigkeit und diese spricht weder für noch gegen Gott. Soll der Buddhismus also die wirkliche Religion sein, als die wir ihn anbieten, eröffnet er wirklich jene letzte Einsicht in die Kraft, aufgrund deren Leben sich selber erlebt, so wird man von ihm verlangen müssen, dass er das Gott-Problem in irgend einer Weise mit umgreift. Und das tut er; freilich nicht dadurch, das er Gott hinweg disputiert und dadurch Beweise vernichtet, sondern dadurch, dass er ihn still, ja hin und wieder leise lächelnd in die alles umgreifende Wirklichkeit seines Gedankens hinein reisst.

Auch der Buddhismus als Wirklichkeitslehre steht der Tatsache "Anfangslosigkeit" gegenüber. Keine andere Religion hat diese Tatsachen in so alles überwältigenden Bildern ausgemalt wie er. Jene ersten Einsätze des Lebens, zu denen die moderne Naturwissenschaft sich scheu und verschämt hin tappt, sind für ihn nichts als Abschnitte, Kappa's in einem anfangslosen Spiel von Erblühen und Verblühen, von sich öffnen und sich schließen, von Entwicklung und Schrumpfung. Aber diese Anfangslosigkeit, in welcher Wissenschaft wie Glauben ertrinken, die meistert er vom Jetzt aus, in der alles überragenden, alles durchdringenden Einsicht seines Erlebens. Eben weil diese Einsicht bis in die Schmiede des Lebens, bis an den Kern und die Wurzel alles Daseins geht, derart, dass sie in diesem Jetzt nichts Verstecktes mehr zurück lässt, deswegen lässt sie auch in den Anfangslosigkeiten nichts Verstecktes zurück. Denn vor dem Jetzt steht immer wieder ein Jetzt, und ist ein Jetzt durchschaut, so sind sie es alle. Die Anfangslosigkeit ist da - wie sollte es auch anders sein in einer Wirklichkeitslehre; aber sie wird auflösbar, aufhebbar, verliert ihre mystische Gewalt dadurch, dass das Jetzt, d.h. das im Jetzt sich selber erlebende Ich sich selber als auflösbar, als aufhebbar begreift.

Letzten Endes ist es aber die Anfangslosigkeit, aus deren mystischen Abgründen der Gott hoch steigt. Ist sie gemeistert - vom Jetzt aus - so ist es auch der Gott. Das ganze Problem löst sich - nicht in einem Beweis für oder wider, sondern darin, dass es in sich selber hinfällig wird. Für den, der sich selber als das begriffen hat, was er wirklich ist: anfangsloses Erzeugnis seiner selbst, und als solches mit der Selbstaufhebbarkeit als letzter Möglichkeit begabt, für den verliert der Gott-Begriff Sinn und Bedeutung und wird zu nichts als einem Ergebnis mangelnder Einsicht in die Wirklichkeit. Der Buddhist kämpft nicht gegen Gott an - warum sollte er auch; er stört ihn ja nicht. Aber wo er ihm begegnet, da reisst er ihn mühelos, ja oft mit einer Art überragenden Humors in das erbarmungslose Kreisen seiner Wirklichkeit hinein. Die mächtigen Lehrreden der Langen Sammlung, vor allem das Brahmajāla-Sutta mit seiner Entstehungsgeschichte des Göttlichen mögen als Beweis gelten.

Diese kampflose Überwindung des Gott-Begriffes ist der letzte Beweis für die Wirklichkeit der Religion, welche der Buddhismus gibt.

Der erste Beweis ist die Verträglichkeit mit der Wissenschaft, d.h. mit den Tatsachen der Erfahrung. Diese Verträglichkeit ergibt sich daraus, dass der Buddhismus, als Selbsterlebnis, d.h. als das sich in sich selber erlebende Ich gänzlich außerhalb der Wissenschaft, ihrer Tatsachen und Methoden zu liegen kommt.

Der zweite Beweis ist die Schaffung einer wirklichen Moral, d.h. einer Moral, die als Ergebnis einer Einsicht in mein wirkliches Wesen Moral zu einer gedanklichen Notwendigkeit, zu einem Selbstzwang macht.

Und der dritte Beweis ist diese stille Ablösung vom Gott-Begriff, die gleichzeitig auch Ablösung von jedem Glaubenszwang, von Dogma und Kirche ist und damit eine Religion gibt, die menschlich ist im vollkommensten und edelsten Sinne.

Wir wissen wohl, dass diese neue Religion, wie sie sich der Menschheit im Buddhismus darbietet, einen schweren Weg zu gehen haben wird. Denn als Selbsterlebnis, ja als das sich selber erlebende Bewusstsein, stellt sie an den Ernst, die Ehrlichkeit, den Wirklichkeitssinn hohe Anforderungen. Aber mögen die Schwierigkeiten des Weges noch so groß sein, so dürfen wir, die wir Wortführer dieser Lehre sind, deswegen doch nicht mutlos werden. Denn schließlich ist es ja gar nicht die Schwierigkeit der Lehre, die ihren Weg so schwierig macht; die Lehre selber ist entsprechend ihrer Vollkommenheit von vollkommener Einfachheit. Die Schwierigkeiten des Weges liegen in den aufgetürmten Vorurteilen und gedanklichen Voreingenommenheiten. Weil das Saatfeld vereist ist durch wissenschaftliche und religiöse Dogmen, deswegen hat die Lehre einen so schweren Weg. Aber wie die Sonne das, was ihr den Weg zum jungen Samenkorn verlegt, sich selber weg schmilzt, dadurch, dass sie sich selber zeigt, so wird auch die Lehre alle diese geistigen Erstarrungen und Vereisungen sich selber weg schmelzen, eben dadurch, dass sie sich selber zeigt. Darum zeigen, geduldig immer wieder zeigen, im Zeigen nicht müde werden! Locken wir auch nicht gleich die junge Saat hervor, so helfen wir doch derweilen das Wintereis wegschmelzen.

 

Aller Gaben beste ist der Wahrheit Gabe!

 

Wirkliches Denken ist immer ein Umdenken, wie Wachsen immer ein Umwachsen ist. Soll die Welt aus ihren Nöten heraus kommen, so muss sie begreifen, dass diese Nöte ihren letzten Grund in gedanklichen Verirrungen haben.

 

 

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