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Denken heilt

 

Es ist eines der vielen Kennzeichen unserer Zeit, dass es den Menschen bei Krankheit nicht so sehr aufs Heilen, wie aufs Betäuben ankommt, eine Neigung, die freilich von den Ärzten und den chemischen Großindustrien in bedenklicher Weise unterstützt wird. Schmerz, Schlaflosigkeit und Fieber sind die drei Mahnungen des kranken Körpers; sie fordern Heilung, aber der moderne Mensch wendet ihnen gegenüber meist nicht Heilmittel an, sondern er zieht es vor, sie mit Betäubungsmitteln zum Schweigen zu bringen. Denn Heilung erfordert Standhaftigkeit, erfordert Geduld.

Wer bei Schmerz sogleich zum schmerzstillenden Mittel, bei Schlaflosigkeit sogleich zum Schlafmittel greift, der zeigt damit, dass er unser großes Heilmittel, das Denken, nicht anzuwenden versteht, ja vielleicht es gar nicht einmal kennt, von seinem Dasein überhaupt nichts weiß.

Denken heilt! Ein Leiden, bei dem Denken nicht seine heilende, lindernde Wirkung ausübte, vorausgesetzt, dass Leben überhaupt unter Bewusstsein verläuft - ein solches Leiden gibt es nicht.

Kant hat eine wohlbekannte Abhandlung geschrieben "Über die Macht des Gemüts, Krankheiten zu heilen". Auch Schopenhauer hat in seiner geistreichen Weise vieles über diesen Gegenstand gesagt. In jüngeren Zeiten ist man durch die methodische Erforschung der Suggestion und der Hypnose zu erstaunlichen Ergebnissen über die Heilkraft des Denkens gekommen. Aber das ist nur ein Umhertappen im Dunkeln; Licht kommt in alles dieses erst durch die Buddha-Lehre.

Weshalb heilt Denken? Weshalb wirkt es heilend ein? Weil Denken die Kraft ist, auf Grund deren Leben sich selber erlebt. Das ist ja eben die Einsicht, zu welcher der Buddha erwacht ist, dass Leben weder ein bloßes Spiel von Spannungsunterschieden ist (wozu die moderne Wissenschaft es machen will), noch ein Spiel, das sich auf Grund einer Seele, eines an sich Seienden abspielt (wozu der Glaube es machen will), sondern, dass sich Leben auf Grund einer streng individuellen Kraft, einer Ich-Kraft, einer In-Kraft abspielt, die keine Kraft an sich ist (Seele), sondern die, um da zu sein, aus ihren eigenen Vorbedingungen immer wieder neu aufspringen muss. Diese Kraft nennt der Buddha bisweilen Wirken (kamma), bisweilen Durst (taṇha), bisweilen nennt er sie Bewusstsein (viññāna), Seine unmittelbare Einsicht in das Leben ist eben bis zu jener Tiefe vorgedrungen, in welcher Denken und Wollen, die für die rein wissenschaftliche Auffassung die polaren Funktionen eines Ichselbst sind, in der Einheit dessen zusammenfallen, was der Buddha Kamma (individuelles Wirken) nennt. Und die meditative Praxis des Buddhismus geht zum guten Teil darauf aus, in der Inschau (samādhi) sich selber über Denken und Wollen hinaus in jene ursprüngliche Tiefe zu verfolgen, in welcher diese Ichkraft als die Saṅkhāra's, die Tendenzen, Neigungen, Anlagen, als Unterbewusstsein wirksam ist.

Aus der Tiefe der Saṅkhāra's stammt das scheinbare Wunder alles dessen, was man kurz "Instinkt" nennt, d. h. alle jene erstaunlichen Fähigkeiten, die ein Lebewesen hat, ohne zu wissen, woher es sie hat, wie es sie hat, ja dass es sie hat, und die nichts sind als der Stempel jener unergründlichen Anfangslosigkeit. Nur in ihr haben alle jene Dinge Platz, die wir wissen, ohne sie zu wissen; die wir können, ohne dass wir wissen, dass Wir sie können.

Je mehr ein Mensch sich dem Quell des eigenen Daseins nähert, je vollständiger er sich seiner selbst bewusst wird, um so mehr wird er seiner selbst Herr werden und sich selber helfen und heilen können. Kaiser Tiberius sagte, dass derjenige, der dreißig Jahre überschritten habe und noch nicht imstande sei, sein eigener Arzt zu sein, ein Dummkopf wäre. Das ist recht und nicht recht. Wie alt ein Mensch ist, das bestimmt sich letzten Endes nicht nach seinen Jahren, sondern nach dem, was er gedacht hat. Und da kann man von einer gradweisen Durchdringung von außen nach innen reden.

Das ist nur möglich dadurch, dass der Vorgang der Rückwendigkeit zu sich selber, der In-wendigkeit, das Bereich des Wollens durchdringt und Denken, das "durch und durch lichte", weil durch und durch bewegliche, sich auf sich selber einstellt.

Gehört schon die Durchdringung des Inneren Lebens in seiner zugänglichsten Form, d.h. soweit es sich in den Affekten äußert, nicht gerade zu den häufigen Dingen, so ist diese weitere Form der Einwärtswendung noch viel seltener. Meinen Erfahrungen nach gibt es nicht viele Menschen, die fähig sind, das Denken auf dem Denken, d.h. auf sich selber ruhen zu lassen, und doch muss dieses Maß von Einwärtswendung erreicht sein, ehe sich der Weg zu den im Unterbewusstsein wirkenden Kräften, den Saṅkhara's eröffnet. Nicht als ob dieser Weg fertig da läge und nur der Schlagbaum vor ihm gehoben werden müsste, sondern von diesem Wege gilt das Wort: Ein Weg entsteht dadurch, dass er begangen wird. Er bildet sich durch die immer wiederholten Versuche, ihn zu begehen. Freilich gibt es kein Sein als nur das Werden, aber Werden wird. Dass ich durch und durch, restlos Werden bin, das kann mir nicht gelehrt werden, sondern das muss ich mir selber erleben, im eigentlichen Sinne er-leben, wobei sich dann der Satz vom Werden wird unmittelbar verwirklicht.

Ebenso wie es sich bei der Sonne erübrigt, dass sie sich ein Licht ansteckt, um ihren Weg finden zu können, so erübrigt sich hier der Beweis, dass es so ist. Wie die Sonne das Licht selber ist, so ist Denken das Werden selber. Das ist der Sinn des Satzes vom Werden wird.

Aus diesem restlosen Werdemotiv des Ich ergeben sich unerhörte Möglichkeiten, für die Zwecke des Heilens.

Um Krankheit zu heilen, darf man aber nicht ihre Erscheinungen betäuben. Krankheit ist Wachstum unter besonderen Bedingungen, man kann nur aus ihr heraus wachsen, und um sie zu heilen, muss man eben neue Wachstumsreize einleiten. Das kann rein von außen geschehen durch alle jene rein äußeren Mittel, die man als "Naturheilkunde" zusammenfasst: Wasser, Luft, Licht, Bewegung, Massage usw. Das kann äußerlich-innerlich geschehen durch das Arzneimittel, wenn das selbe nicht in der gewaltsam unterdrückenden Form angewandt wird, deren sich die Schulmedizin leider so oft bedient, sondern in jener naturgemäßen Form der homöopathischen Heilmethode. Das kann rein innerlich geschehen in jener Form, in welcher Denken selber zur Heilkraft wird - das was die Psychoanalyse ["Zur Freud'schen Psychoanalyse"] zu geben sucht, und was die Wirklichkeitslehre des Buddha mit ihren unerhörten Aufschlüssen über das Denken wirklich gibt.

Damit Denken heilen kann, muss es als das begriffen werden, was es wirklich ist: eben die Kraft, auf Grund deren Leben da ist und sich selber immer wieder aufs neue erlebt.

Der Mensch ist ein Nāmarūpa, eine Geistkörperlichkeit, und als solches ein Spiel gegenseitiger Abhängigkeit zwischen Geistigem und Körperlichem. Das Körperliche wirkt auf das Geistige ein; rein physische Einwirkungen können sich psychisch auswirken. Fieber, übermäßige Anstrengungen, Hungern, Dürsten machen Delirien. Herzleiden führen häufig zu Änderungen in der Gemütssphäre. Gehirnverletzungen, Erkrankungen der Hirnsubstanz im Verlaufe bestimmter Krankheiten rufen Geisteskrankheiten hervor. Der "Hypochonder" hat seinen Namen daher, dass seine Verstimmungen des Gemüts aus einer Verstimmung von Magen und Darm herrühren. Anderseits wirkt aber auch das Geistige auf das Körperliche. Erregungen machen Herzklopfen, Schreck macht Erblassen, Scham macht Erröten, Ärger kann Gelbsucht machen usw.

Die Fäden, die sich zwischen Physischem und Psychischem spannen, sind zahllos und viel enger und feiner, als wir denken. Auch über dieses Verhältnis gibt nur die buddhistische Wirklichkeitslehre Auskunft. Das Psychische ist weder bloß Funktion des Körperlichen, noch steckt es als Seele, als Kraft an sich im Körperlichen wie der Docht im Licht, sondern eines blüht mit dem andern auf, wie der Zündfunke mit dem Brennstoff zur Flamme aufblüht. Zündfunke und Brennstoff werden im Aufeinanderwirken zur Einheit "Flamme"; ebenso werden Geistiges und Körperliches im Aufeinanderwirken zur Einheit "Persönlichkeit", jener Persönlichkeit, in welcher für ein Ichselbst, als ein mit sich selber identisches Ich kein Platz und keine Möglichkeit mehr bleibt. Nichts bleibt als das reine Werden, das entsprechend Umständen und Vorbedingungen sich selber erlebt. "Die bloßen Dhamma's rollen hin."

Wie aber bei der Flamme der Zündfunke anführt, weil er den Verbrennungsvorgang einleitet, so führt bei der Persönlichkeit das Geistige an. Die Ichkraft, mag sie nun taṇha oder viññāna genannt werden, ist es, die mit dem Zerfall der alten Form auf neuem Lebensmaterial, in neuem Mutterschoß fasst und hier gleich dem Zündfunken ruhende Lebensmöglichkeiten zur Entwicklung bringt. Daher heißt es: "Denken geführt die Dinge sind."

Denken ist Kraft. Als solche beweist sie sich durch sich selber, d.h. durch die Fähigkeit der Richtungsänderung, die sie an sich selber vornehmen kann. Einen anderen Beweis für die Kraft als den, dass sie sich selber zu meistern vermag, gibt es nicht.

Dieses Vermögen der Richtungsänderung erlebt sich im geistigen Bereich als Entschluss, im körperlichen Bereich als diese umstimmende und damit heilende Kraft.

Es ist mehr als eine bloße Spielerei mit Worten, wenn man letzten Endes jede Krankheit als eine "Verstimmung" ansieht und demgegenüber Gesundheit als eine Art Wohlklang. Jedenfalls ist es Tatsache, dass Menschen, die in guter "Stimmung" sind, d.h. die ein ruhiges, wohlgeordnetes Innenleben führen, krankmachenden Einflüssen gegenüber widerstandsfähiger sind als andere. Wer sich vor einer Krankheit entsetzt oder sich vor ihr fürchtet, der wird sie leichter bekommen als der, welcher gefasst bleibt. Und ebenso wird der von einer Krankheit Befallene sie leichter überwinden, wenn sein Inneres, sein Denken ruhig und geordnet ist. Von Franz v. Assisi und anderen Heiligen der katholischen Kirche erzählt man, dass sie durch die Glut der religiösen Einbildung die Nägelmale an Händen und Füßen, das Stigma, hervor gerufen hätten. Ob diese Berichte zuverlässig sind, inwieweit sie zuverlässig sind, darüber wage ich nicht zu entscheiden, aber gerade wir Buddhisten müssen auf Grund unserer Einsicht in das Leben die Möglichkeit derartiger "Wunder" anerkennen. Denken ist Kraft und damit eine Ein-bildung, eine innere Bildung, eine Bildkraft im strengsten, wirklichsten Sinne. Ob diese Bildkraft im Sinne der Wirklichkeit oder gegensinnig zur Wirklichkeit angewandt wird, das wird vom Stand der Einsicht und der Belehrung abhängen. Im Sinne der Wirklichkeit angewandt kann sie nur zwei Richtungen einschlagen: die des Entwerdens, der Befreiung und die des Heilens bei krankhaften Verstimmungen.

In letzterem Sinne hat sie, wie das Parinibbāna-Sutta erzählt, der Buddha an sich selber angewandt:

"Da nun, nachdem der Erhabene in die Regenzeit eingetreten war, überfiel ihn eine schwere Krankheit; heftige Schmerzen setzten ein, lebensbedrohende. Die ertrug der Erhabene voll bewusst, besonnen, unverstörten Denkens. Da nun kam dem Erhabenen der Gedanke: 'Nicht wohl würde es geziemend für mich sein, wenn ich verlöschen würde, ohne zu denen gesprochen zu haben, die sich meinem Dienst gewidmet hatten; ohne die Mönchsgemeinde in Kenntnis gesetzt zu haben. Sollte ich nicht diese Krankheit durch eigene Kraft (viriyena) bezwingen (wörtlich: umbeugen, in andere Richtung zwingen) und die Lebenskraft (jīvita-saṅkhāra) anspannend, verweilen?' Da nun bezwang der Erhabene durch eigene Kraft diese Krankheit und verweilte, die Lebenskraft anspannend. Da nun beruhigte sich diese Krankheit beim Erhabenen."

Das Vermögen, im Denken einer Krankheit Herr zu werden, gilt freilich nicht bedingungslos. Als Ānanda den Buddha bittet, sich zum kranken Mönch Girimānanda zu begeben, antwortet der Buddha: "Wenn du dich zu ihm begäbest und ihm die zehn Merkmale hersagtest, so könnte es wohl geschehen usw." Es kann nur geschehen, solange die Wirklichkeit es möglich macht. Ist diese Möglichkeit überschritten, so hilft Denken freilich nicht mehr im Sinne einer heilenden Kraft, aber es setzt dann mit seiner Wirksamkeit ein bei jenem wichtigsten Augenblick des Lebens: der Neueinkleidung, die man gemeinhin "Sterben" nennt. Hier ist es, wo Denken sich selber "richtet", das Wort in diesem erschütternden Doppelsinn begriffen, den es in der Wirklichkeitslehre des Buddha annimmt; hier ist es, wo Denken aus dem Führen des Schicksals (als des sich-Schickens in die Wirklichkeit) zum Schicksal selber wird.

Krankfrei zu sein, höchster Gewinn,
Verlöschen allerhöchstes Heil.

So lautet der Spruch und beide Möglichkeiten liegen im Denken eingeschlossen. Darum "hüte das Denken" (cittaṃ eva vakkha), geschmeidige es, pflege es, beuge es zurück von dieser eklen Verfilzung mit den Dingen, dass es rein und licht seiner wahren Tätigkeit, dem Heilen von körperlicher Krankheit wie von der Krankheit des Ichwahnes obliegen kann. "Wohl gezüchtetes Denken bringt Segen."

*   *   *

Die Totenstille dieser Nacht umschweigt mich,
Das Ichsucht-beschmutzte Gelärm der vielen ist verstummt,
Und das Denken, sich sammelnd von den tausend Missklängen und Wohlklängen des farbengrellen Tages
Schwingt ruhevoll in sich selber, farblosen Gleichmuts genießend.



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