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Die Ehe als Fessel


Die Ehe ist eine Form der Ergänzung, der Lebensergänzung. Der Mensch ist kein Ganzes, wie sich ohne weiteres aus der Tatsache "Nahrung" ergibt. Letzten Endes ist diese Tatsache nichts als der allgemeinste, sich ständig erheuernde Vorgang der Ergänzung. Alle Wesen sind nicht nur von der Ernährung abhängig, sondern sie sind selber durch und durch Ernährung, ein geistkörperlicher Ernährungsvorgang, dem Empfinden, Wahrnehmen, Denken, Bewusstsein ebenso gut angehören wie Essen, Trinken, Atmen. Das ist mit dem Grundsatz des buddhistischen Kanons gemeint: "Alle Wesen bestehen in der Ernährung" (sabbe sattā aharatitthika). - Die Ehe ist eine Ergänzung des Einzelnen; wie aus dem Ausdruck "Ehehälfte" zur Genüge hervor geht. Als Ergänzung ist sie Form der Ernährung, eine geistkörperliche Ernährung, bei der manchmal das Körperliche, manchmal das Geistige überwiegt. Insofern ist sie etwas, das den Menschen an seine Mangelhaftigkeit, an seine Unganzheit mahnt, wie Essen und Trinken auch. Die Sucht nach Ergänzung ist das allgemeinste, tiefste, durchdringendste Kennzeichen alles natürlichen Lebens, und der Drang, aus dieser Ergänzungsnotwendigkeit, aus dieser Nichtganzheit heraus zu kommen, ist das allgemeinste, tiefste, durchdringendste Kennzeichen alles geistigen Lebens. Dieser Drang ist letzten Endes die Wurzel der Gott-Idee: Wir, die Wesen, der Mensch - wir sind ergänzungsbedürftig; wir essen, d.h. wir müssen essen; wir freien, d.h. wir müssen freien und verkaufen damit unsere Freiheit; aber wir sehnen uns nach einem Wesen, nach einem Zustand, der keiner gemeinen Ergänzung mehr bedarf.

Je nachdem diese Sehnsucht stärker oder schwächer ist, bestimmt sich die Höhe der Gott-Idee. Der Gott der Primitiven isst und trinkt und hat seine Ehehälfte. Die homerischen Götter schmausen und erfreuen sich der Liebe. Auch die indischen Götter bedürfen dieser Ergänzungen, wenn auch in durchgeistigter Form. Und das ist der Grund, weshalb der Monotheismus ihnen gegenüber ein höheres Niveau einnimmt, was sonst nicht zu verstehen wäre, weil andererseits der Monotheismus den indischen Religionen gegenüber den Nachteil der mangelnden Wirklichkeit hat. Er, der Gott der Monotheisten, ist ein erhabenes Abstraktissimum, das seine Freiheit von Essen, Trinken und Liebe, kurz: von Ernährung mit seiner Wirklichkeit erkauft hat. Er bedarf dieser Ergänzungen nicht mehr, wie ein Schatten ja auch keiner Ergänzung bedarf, diesem erhabenen Abstraktivum hat man die Nahrung in jeder Form abgewöhnt. Er isst nicht, er trinkt nicht, er heiratet nicht. Er bedarf dieser Ergänzungen nicht, weil er das Ganze an sich ist. Aber damit, dass man ihm dieses alles abgewöhnt hat, ist er ein "Ganzes an sich" ohne lebendigen Inhalt geworden. Er besteht eben nur als Abstraktum, als ein von der Wirklichkeit Abgezogenes, und in wie weit das in den einzelnen einzieht und hier als Wirklichkeit wirkt, das hängt vom Erleben des einzelnen ab.

Von diesem Standpunkt: der Ehe als einer Ergänzungsbedürftigkeit aus betrachtet, ist es ohne weiteres begreiflich, warum der Weg zum Höchsten zu aller Zeit und bei allen Völkern über die Ehelosigkeit gegangen ist. Überall ist das Zölibat der Schlüssel, der höhere Daseinsbereiche, höhere Lebenssphären eröffnet, und wenn der Protestantismus in seiner lutherischen Derbheit meint, ohne diesen Schlüssel fertig zu werden, so wird er die Folgen seiner Unbekümmertheit zu tragen haben, ja er hat sie heute schon zu tragen. Es gibt gewisse Gesetze der Wirklichkeit, die sich nicht ungestraft verachten lassen, und dazu gehört vor allem dieses: dass alles höhere Wesen sich als solches durch eine verminderte Ergänzungsbedürftigkeit erweist.

Wer zu dieser Einsicht nicht gekommen ist, der wird mit der überzeugenden und überlegenen Flachheit des Weltmenschen fragen, woran denn der Vorzug und die Notwendigkeit des Zölibates sich erweise? Letzteres gibt seiner Ansicht nach nur Veranlassung zu Heuchelei und Unsittlichkeit.

Nun, diese Veranlassung gibt das Zölibat fraglos, es hat sie ja tatsächlich oft genug gegeben; aber das besagt nichts als dieses: dass es dem innersten Wesen alles Lebens, eben der Ergänzungsbedürftigkeit, der Sucht nach Ergänzung widerspricht. Und alles kommt darauf an, ob man Leben in dieser seiner innersten Wesenheit als das an sich Ehrwürdige, Notwendige und zu Bejahende ansieht, oder ob man diese Sucht nach Ergänzung als das ansieht, was sie ja tatsächlich ist: eine Bedürftigkeit, ein Mangel, kurz eine Minderwertigkeit. Wo dann der Katholizismus eine sehr viel feinere Witterung für das letzte Geheimnis alles Lebens erweist, wie Protestantismus und Judentum mit ihrer unangekränkelten Lebensbejahung, in der die Ergän-zungsbedürftigkeit alles Lebens als an sich ehrwürdig und berechtigt sich in sich selber heiligt und ein eheloses Priestertum überflüssig macht. Freilich gibt es viele Arten, in denen sich Leben selber ergänzt, und sie alle empfehlen sich dem Menschen durch ihre "Natürlichkeit". Essen und Trinken ist natürlich; aber über diesem allen steht als höhere Lebensform das Freisein von diesen Ergänzungen, eine Bedürfnislosigkeit, die große Armut und erweist sich durch sich selber als die höhere Form dadurch, dass sie, dieses alles übergipfelnd und umfassend, in dem großen "Nicht mehr" zu einem Abschluss kommt, der eben schlechterdings nicht mehr zu überbieten ist. Wer ist der Reichste? Er, der nichts mehr bedarf. Wer hat alles? Er, der nichts mehr verlangt. Wer ist der Mächtigste? Er, der sich selber zwingt.

Und ein schärferes experimentum crucis des Sich-selber-Mächtigseins als das Zölibat gibt es wohl nicht. Einen Standpunkt hingegen, von dem aus umgekehrt die Bedürftigkeit für dieses alles die Bedürfnislosigkeit übergipfeln könnte, d.h. ein Standpunkt, von dem aus die Ehe und die zu ihr gehörende Weltlichkeit als "Nicht mehr Zölibat" zum Abschluss in sich käme, den gibt es nicht. Die Bedürftigkeit ist eben nie ein wirklicher Abschluss und eine wirkliche Höhe, mag sie dialektisch auch als solche gestempelt werden. So erweist sich Bedürfnislosigkeit der Bedürftigkeit gegenüber ohne weiteres und durch sich selber als das höhere Niveau.

Aber Zölibat ist ein Symptom. Symptome sind vieldeutig, und dass es auf die Symptome allein nicht ankommt, das zeigt sich in den allbekannten Unterschieden zwischen Mönch und Junggeselle. Man wird noch kein Mönch dadurch, dass man Junggeselle bleibt, und mit so viel Ehrfurcht überall das Zölibat betrachtet und behandelt wird, mit so wenig Ehrfurcht wird der Junggeselle behandelt. Sein Niveau ist fraglos ein niedrigeres als das des Ehemannes. Woran liegt das?

Noch einmal: Symptome sind vieldeutig. Nicht auf die Symptome kommt es an, sondern auf die Beweggründe. Der Sinn des Lebens liegt nicht in den Tatsachen, sondern in den Motiven; womit sich denn der gründliche Unterschied zwischen Mönch und Junggeselle ergibt: der eine ehelos auf Grund einer das übliche Maß überschreitenden Sittlichkeit, der andere ehelos auf Grund einer das übliche Maß unterschreitenden Sittlichkeit.

Dieser Unterschied muss durchdacht werden, er muss erfasst, begriffen werden, sonst kann es leicht einmal geschehen, dass der Mönch zum Junggesellen wird, dass er nichts weiter ist als ein Junggeselle in der Mönchskutte, wie umgekehrt da, wo dieser Unterschied, erfasst, begriffen, verwirklicht wird, es wohl geschehen kann, dass der Junggeselle zum Mönch wird, trotz der fehlenden Kutte, und sich nur deshalb äußerlich nicht als solchen gibt, weil die Ungunst der Umstände es ihm unmöglich machen, wie z.B. in der gegenwärtigen verkommenen Zeit, deren Mangel an kulturellen Werten und kulturellen Empfindungen sich in nichts so erschreckend äußert, wie in diesem Mangel alles Mönchstumes und der fehlenden Möglichkeit für ein Mönchstum: das Kloster. Auch hier bildet der Katholizismus in tiefem Verständnis des Menschtumes die einzige Ausnahme im Westen unserer Erdkugel.

Mit der Frage nach dem Motiv der Ehelosigkeit stehen wir beim Buddhismus und bei dem, was ihn, wie in allen anderen Punkten so auch hier, von allen anderen Religionen unterscheidet.

In den Glaubensreligionen, insonderheit im Katholizismus, ist das Zölibat letzten Endes nur Ausdruck einer Imitatio dei, einer Nachfolge Gottes, das Streben zu jenem Ganzen hin, das einer Ergänzung nicht mehr bedarf, und das "Gott" ist. Einen anderen Sinn hat meines Bedenkens das priesterliche Zölibat nicht: der Priester, als Vermittler zwischen Gott und Mensch und der Mönch als der unmittelbar mit Gott in Verbindung stehende Mensch, die sich beide in diesen ihren Beziehungen zum Göttlichen dadurch kennzeichnen, dass sie alle Formen der Ergänzung abtun, soweit es bei einem Fleisch und Blut begabten Wesen überhaupt möglich ist. Die letzte und entscheidende Ergänzung ist hier "Gott", der Gott, an den er glaubt. "Ihr sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist." Und vollkommen sein heißt, keine Ergänzung mehr benötigen.

So behält in den Glaubensreligionen die Tatsache des Zölibates eine rein metaphysische Wurzel, ohne welche es eine zweck- und sinnlose Askese sein würde, als welche es der Protestantismus und er Weltmensch ja auch offenbar ansieht. Was sollte auch das Zölibat und seine Gewaltsamkeiten gegenüber der menschlichen Natur für Sinn haben, wenn nicht den, dass es ein Schritt ist in der Richtung jener Ganzheit, die "Gott" ist! Anders ausgedrückt: Das Zölibat in den Glaubensreligionen ist Ausdruck des Strebens nach einem Idealzustand, wie er nur als Kontrastwert zu dieser Wirklichkeit, als ihr im Jenseits liegender Gegensatz gegeben ist: das Freisein von allen Ergänzungen auf Grund einer Ganzheit an sich. Alles in allem: die Ehelosigkeit ist hier eine Forderung, die in den Dienst eines idealen Zieles gestellt wird.

Dem gegenüber steht der Buddhismus mit einer Ehelosigkeit, die nicht Forderung im Dienste eines idealen Zieles ist, sondern die Ergebnis eines Umdenkens im Sinne der Wirklichkeit ist.

Es gibt nur eine Wirklichkeit: die, die ich selber als solche erlebe, oder besser: die, als die ich mich selber erlebe. Diese Einsicht ist der Dreh- und Wendepunkt alles Denkens, und ihr gegenüber werden alle anderen Fragen, Probleme, Tatsachen, Überzeugungen usw. lediglich Symptome, die Sinn und Bedeutung nicht in sich selber, sondern eben in der Einsicht in die Wirklichkeit tragen. Die Wirklichkeit ist unsere einzige, letzte, entscheidende Instanz, erkenntlich, moralisch, religiös usw. Sie ist das einzig wirklich Richtunggebende. Fehlt diese Einsicht, so mag alles, auch das symptomatisch Beste, zum Übel ausschlagen, d.h. zu einem Misslingen dem Ziel gegenüber, im Dienste dessen man zu arbeiten meint. Da gilt der Satz: "Verschieden von dem wird es, um dessentwillen jedesmal sie es erdenken" (Mittlere Sammlung, 113. Rede). Ein Zölibat im Dienste irgend eines "um - willen", mag dieses "um - willen" beschaffen und geartet sein wie es will, es wird immer in irgend einer Form zum Übel ausschlagen, wie das eben so ist bei allen Dingen, die nicht bis zur Wurzel, d.h. bis zur Wirklichkeit durchgedacht, sondern in Begriffen hängen geblieben sind; und ein Hängenbleiben in Begriffen ist es eben, wenn man das Zölibat übt um jener Ganzheit willen, die als Vollendetes an sich der Ergänzung nicht mehr bedarf. Wo Leben ist und als solches bejaht wird, da ist auch Ergänzungsbedürftigkeit. Leben ohne Ergänzung ist ein so leerer Begriff wie eine Flamme ohne Brennen.

Diesen Fehler des Hängenbleibens in Begriffen begeht der Buddhismus nicht. Buddhismus ist letzten Grundes Wirklichkeitslehre. Wirklichkeit ist nur eine zugänglich: die, als welche jeder einzelne sich selber erlebt: nämlich als das ruhelose, bestandlose, inhaltlose Spiel der fünf Greifegruppen (pañc'upādānākkhandhā), d.h. als einen Vorgang, der seinem Wesen nach das Ergreifen, Ergänzen nicht als bloße Funktion eines Ichselbst hat, sondern der dieses Ergreifen, Ergänzen selber ist und restlos in ihm aufgeht, wie die Flamme auch nichts ist als das Ergreifen und restlos in ihm aufgeht. -

Ein mit sich selber identisches Ich, das sich zu einem Ganzen ergänzen könnte, gibt es hinfort nicht mehr. Und das ist das große Opfer, das der unvoreingenommene Sucher und Denker auf dem Altar der Wahrheit bringen muss: das Opfer des eigenen Ich, das Wort im konventionellen Sinn gefasst als ein mit sich selber Identisches. Das ist das große Opfer, das der Buddha meint, wenn er sagt: "Versteher sind schwer zu finden"; denn der Mensch versteht am besten das, was in der Richtung seines Wünschens und Wollens geht. Der Buddhismus geht aber gegen das, was der Mensch wünscht und will: Dasein, Wohlsein, Immerdasein. Daher nennt der Buddha seine Lehre die "gegen den Strom gehende", und sie geht gegen den Strom, weil sie den Ich-Wahn entwurzelt und statt des an sich bestehenden reinen Nebeneinander eines mit sich selber identischen Ich, an das alle Welt glaubt, das reine Nacheinander einer immer wieder neuen Erinnerung lehrt und zeigt, die, um überhaupt da zu sein, aus ihren Vorbedingungen erst immer wieder aufspringen muss (vergleiche hierzu meine Ausführungen in dem Aufsatz "Saṃsāra und Nirvāna"). Das Ich ist hinfort nicht mehr ein metaphysisches, rein geistiges Sein an sich, das keiner Ergänzung mehr bedarf, auch kein rein physisches Werden, das seine Ergänzungen von anderen her erhält, sondern ein sich in sich selber Ergänzendes, Geistkörperliches, das Nahrung braucht, um da zu sein, mag diese Nahrung nun körperlicher oder geistiger, gemeiner oder feiner Art sein. Sie bleibt Nahrung in jedem Fall, als solche eine Ergänzungsbedürftigkeit, als solche ein Mangel.

Von dieser neuen Einsicht in die Wirklichkeit aus nimmt das Problem der Ergänzung und seine Bewertung völlig andere Formen an. Als Ziel bleibt nun nicht mehr die Ergänzung zu einem idealen "Ganzen an sich", was gleichbedeutend ist mit dem Hängenbleiben in leeren Begriffen, die ihre Absolutheit mit ihrem Wirklichkeitsgehalt erkauft haben; das Ziel hier ist das Enden, das Aufhören dieses immer wieder neuen Ergänzens, das freilich Leben selber ist, in dem aber Leben sich selber als Aufhörbarkeit erlebt. Leben ist eine Aufhörbarkeit. Seine Ganzheit besteht darin, dass es sich selber durch und durch als Ergänzungsvorgang erlebt. "Das Ganze, ihr Mönche, werde ich euch zeigen. Was, ihr Mönche, ist das Ganze? Das Auge und die Formen, das Ohr und die Töne, Die Nase und die Gerüche, die Zunge und die Geschmäcke, der Körper und die Berührbarkeiten, das Denken und die Zustände. Das, ihr Mönche, nennt man das Ganze." (Saṃyutta Nikāya IV.)

Was aufhören kann, muss aufhören! Einer Aufhörbarkeit gegenüber ist letztes Ziel das Aufhören, d.h. ein Ziel, das nicht innerhalb transzendenter Begriffe zu liegen kommt, sondern das sich als Aufhören des Begreifens, geistigen wie körperlichen, selber erlebt. "Vollendung" ist hier nicht das Dasein "an sich" eines in sich selber vollendeten Ganzen, das der Ergänzung nicht mehr bedarf, sondern das volle Enden all dieser Ergänzungen, die das Ganze des Lebens ausmachen, und die aufhören müssen, weil sie aufhören können. Das Ziel ist hier das Aufhören (nirodha), das Verlöschen (nibbāna) des anfangslosen Lebensspieles, das sich auf Grund des Nichtwissens darüber, dass es so ist, von Anfangslosigkeit her selber gespielt hat. Darum ist dieses Verlöschen nicht die Folge eines Entschlusses, eines Willensaktes, eines asketischen Zwanges, sondern das Ergebnis einer neuen Einsicht in die Wirklichkeit, in der als die Wurzel alles Daseins Nichtwissen (avijjā) und Durst (taṇhā) erkannt wird mit ihrer Sucht nach Ergänzung, die das Gemeine an sich ist, und der das Aufhören dieser Sucht, dieses "Genug jetzt! Genug jetzt für immer!" als das Edle an sich gegenüber steht, dem das Denken zudrängt als jenem letzten, größten, unwiderstehlichen Behagen des Lassens, des Aufgebens, des Entsagens, das alle anderen Arten des Behagens mit ihren unvermeidlichen Kontrasten von Leid und Freud umfasst und überragt. "Zwei Arten des Behagens, ihr Mönche, gibt es. Welche zwei? Das Behagen am Haus und das Behagen an der Pilgerschaft. Diese zwei Arten des Behagens, ihr Mönche, gibt es. Das höhere dieser zwei Arten des Behagens, ihr Mönche, ist das Behagen an der Pilgerschaft. Zwei Arten, ihr Mönche, gibt es. Welche zwei? Das Behagen an der sinnlichen Lust und das Behagen des Entsagens. Diese zwei Arten des Behagens, ihr Mönche, gibt es. Das höhere dieser zwei Arten des Behagens, ihr Mönche, ist das Behagen des Entsagens." (Aṅguttara-Nikāya II.) und "Unbeschränktheit nenne ich das größte Behagen" (Majjhima Nikāya 13). Denn: Wo Bedürftigkeit, da Beschränktheit; wo die, da Unbehagen, Unausgeglichenheit, Leidigkeit (dukkhata).

Damit ergibt sich, dass die Ehelosigkeit des buddhistischen Mönches und die des katholischen Mönches auf von Grund auf verschiedene Motive zurück geht. Eine Fessel ist die Ehe für beide, aber im Katholizismus die Forderung des Zölibates um der besseren Annäherung willen an das Ganze, das der Ergänzung nicht mehr bedürftig, das eben "Gott" ist; im Buddhismus das Zölibat keine Forderung, sondern das notwendige Ergebnis jenes einzigartigen Umdenkens im Sinne der Wirklichkeit, das dieses Spieles des Ergänzens, das sich als eine bloße Funktion des "Lebens" brüstet, und doch Leben in seiner Ganzheit selber ist, überdrüssig wird. Der buddhistische Mönch gelobt nicht Ehelosigkeit, sondern von ihm fällt das Verlangen nach einer Bindung durch die Ehe ab, weil er sieht, dass die Ehe nur eine der zahllosen Formen des Ergänzens ist, in denen Leben sich selber erlebt, "unterhält", und die er hinfort nicht mehr benötigt, weil er als sein Ziel das Ende all dieser Ergänzungen, das endgültige Aufhören des anfangslosen Spieles, das Verlöschen erkannt hat. Diesem Ziel muss er zustreben, sobald er Leben als Aufhörbarkeit erkannt hat, d.h. als etwas, das endlich einmal zum Aufhören kommen muss, soll es nicht als der Vorwurf einer unvollbrachten Vollbringbarkeit vor uns stehen. Daher das immer wiederkehrende Stichwort für den Vollendeten: "kataṃ karaṇiyaṃ", "Getan ist, was zu tun war", d.h.: was getan werden konnte und darum getan werden musste.

Über die Gefahr der Ehe für jeden, der nach diesem Höchsten strebt, hat sich der Buddha oft und klar geäußert. "Es gibt keine stärkere Bindung als die gegenseitige Bindung der Geschlechter." "Nicht, ihr Mönche, nehme ich irgend eine Form wahr, die den Geist des Mannes so gefangen nimmt wie die weibliche Form. Die weibliche Form, ihr Mönche, nimmt den Geist des Mannes gefangen. Nicht, ihr Mönche, nehme ich irgend eine Stimme - irgend einen Duft - irgend einen Geschmack - irgend eine Berührung wahr, die den Geist des Mannes so gefangen nimmt wie die Berührung des Weibes. Die ... Berührung des Weibes nimmt den Geist des Mannes gefangen. Nicht, ihr Mönche, nehme ich irgend eine Form wahr, die den Geist des Weibes so gefangen nimmt, wie die Form des Mannes. Die Form des Mannes, ihr Mönche, nimmt den Geist des Weibes gefangen. Nicht, ihr Mönche, nehme ich irgend eine Stimme - irgend einen Duft - irgend einen Geschmack - irgend eine Berührung wahr, die den Geist des Weibes so gefangen nimmt wie die Berührung des Mannes. Die ... Berührung des Mannes, ihr Mönche, nimmt den Geist des Weibes gefangen."

Nun wurde aber die Ehe als Form der Ergänzung eine Form der Ernährung genannt. Wenn diese Ergänzung aufhören muss, muss dann nicht der Mönch, eben so wie er die Ergänzung in der Ehe ablehnt, auch die Ergänzung in der Nahrungsaufnahme ablehnen, d.h., muss er nicht, will er konsequent sein, den freiwilligen Hungertod wählen?

Darauf lautet die Antwort: Nein! Nicht auf das Essen kommt es an, sondern darauf, dass hinter dem Akt der Nahrungsaufnahme keine Gier, keine Sucht, kein Haften an der Nahrung mehr steckt. Das Öl der Lebensflamme, das Öl, durch welches sie sich selber unterhält und von jeher unterhalten hat, ist nicht Essen und Trinken, sondern der Durst (taṇhā).

"Der Durst ist's, der den Menschen schafft." (taṇhā janeti purisaṃ) (Saṃyutta Nikāya I.)

Daraufhin wirft man natürlich ein: wenn die Form der Ergänzung, die sich als Essen und Trinken vollzieht, nur Symptom ist, das erst von einem Dahinterstehenden Sinn und Bedeutung erhält, kann dann entsprechend nicht auch die Ergänzung, die sich als Ehe vollzieht, gleichfalls Symptom sein, das erst von einem Dahinterstehenden Sinn und Bedeutung erhält; d.h.: kann es nicht, wie es ein suchtfreies Essen gibt, auch eine suchtfreie Ehe geben, die dann auch für den Buddhisten keine Fessel mehr sein würde?

Unsere Antwort lautet: Das würde ein Spiel mit dem Wort "Ehe" sein. Die Ehe ist ihrem Wesen nach der Ausgleich der geschlechtlichen Spannungen innerhalb der Geschlechter, und zwar der Ausgleich in geordneter, konventioneller Form. Dieser Ausgleich vollzieht sich der Regel nach im geschlechtlichen Akt, und das ist, wenigstens für den Mann, das größte Bekenntnis zur Lust, jener einzigartige Akt der Aufrichtigkeit, in welchem das Wort "aufrichtig" jenen wirklichen Sinn erhält, in dem Begriff und Gegenstand, Gedanke und Tat in einer Einheit zusammenfallen. Letzten Endes gibt es nur ein aufrichtiges (aufrichtiges) Glied am Menschen: das ist das Geschlechtsglied des Mannes. Dass der Akt der Aufrichtigkeit dieses Gliedes (die Erektion) bloßes Symptom sein könnte, das erst von einem Dahinterstehenden Sinn und Bedeutung erhalten könnte und müsste, das gibt es nicht. Der Akt der Aufrichtigkeit ist Lust selber, jener einzigartige Vorgang, in dem Form und Wesen, Ausdruck und Sinn, Symptom und Wirklichkeit zusammenfallen.

Daher ist der Mann der Aufrichtige, der Offene, das Weib, dem dieses einzig aufrichtige Glied fehlt, bzw. dem es nur in rudimentärer, nicht mehr zeugnisfähiger Form erhalten ist, die Versteckte, Heimliche. Daher heißt es im Aṅguttara Nikāya: "Drei Dinge, ihr Mönche, hausen verborgen, nicht offen. Welche drei? Das Weib, ihr Mönche, haust verborgen, nicht offen. Brahmanenweisheit haust verborgen, nicht offen. Falsche Ansicht haust verborgen, nicht offen. Diese drei Dinge hausen verborgen, nicht offen. Drei Dinge, ihr Mönche, leuchten offen, nicht verborgen. Welche drei? Die Mondscheibe, ihr Mönche, leuchtet offen, nicht verborgen. Die Sonnenscheibe leuchtet offen, nicht verborgen. Die im Vollendeten verkündete Lehrordnung leuchtet offen, nicht verborgen. Diese drei Dinge leuchten offen, nicht verborgen." (Aṅguttara Nikāya III.)

Somit: Essen und Trinken mag sich ohne Lust vollziehen, der Akt der Begattung ist Lust selber. Aber eine Ehe mag abgeschlossen werden unter ausdrücklicher Ausschließung aller geschlechtlichen Betätigung. Es gibt Fälle von reiner, keuscher Ehe, in der die beiden Ehehälften in völliger geschlechtlicher Enthaltsamkeit leben; einige dieser Fälle sollen sogar historisch beglaubigt sein.

Das mag wohl sein, aber der Ausgleich der Geschlechter, die Ergänzung zwischen Mann und Weib braucht sich nicht gerade allein durch den Geschlechtsakt zu vollziehen; sie mag sich auf sehr viele andere Weisen, in sehr vielen anderen Formen, z.B. in Form einer rein geistigen Ergänzung vollziehen; aber eine Ehe, in der sich nicht irgend eine dieser Ergänzungen vollzieht, die hat das Anrecht auf den Namen "Ehe" verloren, sie ist zum bloßen Nebeneinander-Hinleben geworden, das ohnehin beim ersten Stoß auseinander fallen wird.

Andererseits mag sich die Ergänzung zwischen Mann und Weib auch dort vollziehen, wo keine Ehe besteht. Die Seelenfreundschaften eines Dante, eines Petrarca, eines Franz von Assisi, eines Franz von Sales usw. sind, von unserem Standpunkt aus, einer Ehe und ihren Wirkungen und Folgen durchaus gleichwertig, und so ist, wie überall auch hier, letzten Endes der Buddhismus eine Sache der Ehrlichkeit sich selber gegenüber.

Gotama, der spätere Buddha, ist verheiratet gewesen. Dass er nicht in einer platonischen Ehe gelebt hat, dafür zeugt der Sohn, den er gezeugt hat, und bei dessen Geburt er die Worte geäußert haben soll: "Eine neue Fessel ist mir geboren." Zur alten Fessel der Ehehälfte die neue des Sohnes. Diese beiden Fesseln zerfielen in der Glut des neuen Denkens. In seiner späteren Laufbahn als Buddha hat er mit Nonnen und Anhängerinnen in Verkehr gestanden, aber nie hat er dabei selber die nötige Vorsicht außer acht gelassen, und vor allem hat er nie versäumt, sie seinen Mönchen immer wieder aufs strengste einzuprägen. Eben wegen des Mangels an Aufrichtigkeit ist ihm das Weib das, bei dem man nie sagen kann, wann und ob die Sucht der Geschlechtlichkeit ein Ende nimmt. "Im Verfolg dreier Dinge, ihr Mönche, gibt es keinen Stillstand. Welcher drei? Im Verfolg des Schlafens, ihr Mönche, gibt es keinen Stillstand. Im Verfolg des Trinkens berauschender Getränke, ihr Mönche, gibt es keinen Stillstand. Im Verfolg unkeuscher Begierden, ihr Mönche, gib es keinen Stillstand. Im Verfolg dieser drei Dinge, ihr Mönche, gibt es keinen Stillstand."

Den modernen Jugendbestrebungen, den Reiz der Geschlechter durch frühzeitiges Beisammenleben abzustumpfen und zu überkommen, wäre er sicherlich nicht wohl gesinnt gewesen. Als Ānanda ihn, den greisen, fragte: "Wie o Herr, sollen wir uns dem Weibe gegenüber verhalten?" antwortete er: "Seht sie nicht an, Ānanda." - "Wenn wir aber, o Herr, sie sehen wie sollen wir uns verhalten?" - "Sprecht nicht mit ihnen, Ānanda." - "Wenn aber, o Herr, ein Gespräch statt findet, wie sollen wir uns verhalten?" - "Dann, Ānanda, haltet die Achtsamkeit voll gewärtig." (Dīgha Nikāya 16.)

Das nennt man den Menschen menschlich und die Wirklichkeit wirklich nehmen. Meide die Möglichkeit, sobald du ihr Meiden als notwendig erkannt hast, und du wirst von den Notwendigkeiten verschont bleiben. Deswegen befahl er seinen Mönchen, auf den Bettelgang nur zu einer Zeit zu gehen, wo zu erwarten war, dass das Weibervolk nicht in nachlässiger oder mangelhafter Kleidung umher laufe. Ein einziger Blick in einem einzigen unbewachten Augenblick kann dann genügen, um einen neuen Brand anzufachen, da wo man schon meinte, dass die Flamme längst verloschen sei. In den Jātakas wird des öfteren erzählt, dass der und der Mönch mit dem Mönchsleben unzufrieden geworden sei, weil er ein geschmücktes oder entblößtes Weib gesehen habe, und Jātaka Nr. 431 erzählt, dass der Bodhisatta selber als Büßer Harita aus seiner geistigen Höhe in die neu erwachte Sinnlichkeit herab gestürzt sei durch Nachlässigkeit in dieser Hinsicht.

Bis zu seinem Tode hat Gotama, der Buddha, die einsamen Orte bevorzugt, und als man ihn nach dem Grunde fragt (Majjhima Nikāya IV.), antwortete er: "Mein geistiges Wohlbefinden und das Heil derer, die mir nach folgen." Das nennt man den Menschen menschlich und die Wirklichkeit wirklich nehmen. Und in dieser wirklichen Wirklichkeit ist die Ehe eben eine Fessel für den, der erkannt hat, wohin die Reise geht: eben zum Aufhören aller Ergänzungen, zum Loslassen, zum Aufhören.

Dass diese Art der Auffassung der Ehe, wie sie sich aus der buddhistischen Einsicht in die Wirklichkeit ergibt, je mit anderen Auffassungen von einer höheren Einheit aus sich sollte zusammen fassen lassen, das gibt es nicht, ebenso wenig, wie es einen Standpunkt gibt, von dem aus, als einer höheren Einheit, das Tun und das Lassen sich zusammen fassen ließen. Lassen, da wo es ehrlich ist, wo es geübt, d.h. verwirklicht wird, ist immer nur es selber und weiter nichts, und alle Versuche, es einem höheren Begriff unter zu ordnen, es als dieses oder als jenes hin zu stellen und zu begrenzen, zu definieren, ist undenkbar und unmöglich in einem, weil Lassen eben das Lassen alles Begreifens ist. "Und dieser Mönch, ihr Mönche, erdenkt nicht irgend etwas, erdenkt nicht irgendwo, erdenkt nicht um irgend etwas." (Majjhima Nikāya 113.)

Er lässt eben los, weil er erkannt hat, das Leben so beschaffen ist, dass man loslassen kann, und dass man somit loslassen muss, will man sich selber gegenüber ehrlich sein. Über den Buddhismus spekulieren, und mag es auch in der geistreichsten und treffendsten Weise geschehen, das heißt ihn nicht verstehen. Und wenn ich in diesem Sammelwerk über die Ehe diesen Artikel über die Ehe als Fessel übernommen habe, so geschah es nicht, um damit die Möglichkeit zu geben, die buddhistische Auffassung der Ehe mit anderen Auffassungen zu verarbeiten und unter einem höheren Standpunkt zusammen fassen zu lassen, sondern es ist geschehen, weil ich auch diese Gelegenheit benutzen wollte, um darauf hinzuweisen, dass der Buddhismus, mag man ihn anfassen, wo und wie man will, sich einem Begriff eben nicht unterordnen lässt. Abreifen, Loslassen, Aufhören für immer - das lässt sich eben nicht mit den zahllosen Formen des Festhaltens unter einen Hut bringen, weder als ein Gleiches noch als ein Gegensätzliches. Es ist eben so: Loslassen ist es selber und weiter nichts, und alle Versuche, dieses Loslassens begrifflich Herr zu werden und es als eine Einzelstimme in den Chor des Lebens einzureihen, müssen scheitern, vorausgesetzt, dass man nicht mit seinem Gegenstand als einem bloßen Begriff spielt, wo man ja denn freilich ausnahmslos alles begrifflich verarbeiten kann, auch das Loslassen von allem Begreifen. Wer aber auf dieses Transsubstanziationsverfahren, auf diesen Ersatz der Wirklichkeit durch bloße Begriffe nicht eingeht, der wird ja bald merken, dass es heißt: Hier Buddhismus, hier alles andere!

Wurde dieses gesagt, so wurde es darum gesagt, und als solches möge auch das, was ich hier über die Ehe gesagt habe, aufgenommen und festgehalten werden

 

Verehrung dem Lehrer!

 

 

Dieser Artikel wurde entnommen aus "Das Ehe-Buch" Eine neue Sinngebung im Zusammenklang der Stimmen führender Zeitgenossen, angeregt und herausgegeben von Graf Hermann Keyserling
Niels Kampmann Verlag, Celle 1923

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