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Der zerbrochene Buddha

Kritische Reflektionen über den Theravāda und Plädoyer für einen Neuen Buddhismus

abhinanda

 

Vorwort der Übersetzer

Der Ehrwürdige Shravasti Dhammika wurde 1951 in Australien geboren und entwickelte schon in seiner frühen Jugend Interesse am Buddhismus. Im Alter von 22 Jahren ging er nach Indien und ließ sich unter dem Ehrw. M. Saṅgharatana Mahāthera zum buddhistischen Mönch ordinieren und ausbilden. Später lebte er in Sri Lanka, wo er durch sein Engagement zur Förderung des Buddhismus bekannt wurde. Ab 1985 war er spiritueller Berater der Dhamma-Mandala-Society und anderer buddhistischer Gruppen in Singapur. Er lehrte am Curriculum Development Institute des Bildungsministeriums in Singapur. Er ist Autor vieler Bücher über die buddhistische Lehre.

Die Übersetzer sind Anfang 2003 das erste Mal auf diesen Essay aufmerksam geworden. Im Jahr 2001 feierte Ven. Dhammika seinen 50. Geburtstag und gleichzeitig den 25. Jahrestag seiner Ordination zum buddhistischen Mönch.

Ven. Dhammika schrieb damals:
Der Essay "The Broken Buddha" wurde ins Internet gestellt, um eine Diskussion anzuregen, die die Zukunft eines der Kritik standhaltenden Dhamma im Westen möglich machen soll. (…)

Die Übersetzung dieses Textes versteht sich als Beitrag zum Verständnis des Theravāda-Buddhismus. Wir weisen darauf hin, dass die in diesem Essay gemachten, teilweise kritischen Aussagen auf den selbst gemachten Erfahrungen des Autors oder ihm berichteten Erfahrungen glaubwürdiger Zeugen beruhen und dessen rein subjektive Sicht über den Theravāda-Buddhismus und seiner in Asien und im Westen herrschenden Verhältnisse widerspiegeln. Wir wissen nicht, ob der Autor seitdem Aussagen seines Textes revidiert hat. Die Übersetzer haben sich bemüht, den Text so objektiv und vorurteilsfrei wie möglich zu übersetzen und enthalten sich eines jeden Kommentars. Sie wollen den Text für sich sprechen lassen.

 

Vorwort

Die Geschichte lehrt uns, dass es keine Garantie dafür gibt, dass der Buddhismus im Westen Wurzeln schlagen oder über sein gegenwärtiges Anfangsstadium hinaus wachsen wird. Aber man sollte erwarten, dass sein Bewusstsein seiner eigenen Schwierigkeiten wächst und Buddhisten sich jenen Problemen öffnen, die der Buddhismus selbst als Teil seines einzigartigen Reichtums den Menschen deutlich macht. Man sollte auch hoffen, dass aufkommender Zweifel Zeichen einer tieferen Überzeugung ist.
Luis O. Gomez

In den südwestlichen Vororten von Mandalay befindet sich ein Tempel, in dem eine der berühmtesten und am meist verehrtesten Buddha-Statuen der Welt steht, das Mahāmuni;-Bild. Nach der Legende, stellt diese Statue ein Porträt des echten Buddha dar. Seine wahre Herkunft ist unklar und im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten. Über Jahrhunderte hinweg stand sie in Arakhan bis der burmesische König Bodawpaya das Land überfiel, nur um sich diese Statue anzueignen. Nachdem er die Arakhanesen besiegt und ihr Land verwüstet hatte, ließ der König die große Statue mit großem Aufwand und unter vielen Verlusten von Menschenleben über die Berge schaffen, um sie in dem Tempel aufzustellen, in dem sie auch heute noch steht. 1973 hatte ich während meines ersten Besuches in Mandalay die Gelegenheit, diese berühmte Statue zu sehen. Ich bat zwei Burmesen, die ich unterwegs kennen gelernt hatte, mir die Statue zu zeigen, und sie waren überaus stolz und glücklich darüber, ihrem neuen, "weißen, buddhistischen" Freund die bekannteste Statue des Landes zu zeigen. Sie führten mich durch die Halle, die mit gläubigen Anhängern gefüllt war und wir betraten schließlich das Allerheiligste. Mein erster Eindruck war enttäuschend: Statt des erwarteten anmutigen Bildes, ragte etwas Drohendes und Plumpes vor mir auf. Das Gesicht der Statue war angenehm und freundlich, der Rest des Körpers jedoch geschwulstartig missgestaltet. Ich brauchte einige Minuten, um die Ursache dafür zu erkennen. Die Menschen hatten sich an der der Statue ausgetobt, indem sie dünne feine Blattgoldplättchen anbrachten, die ihnen die "Gläubigen" brachten. Über die Jahrhunderte hinweg hat nun das stetige Anbringen von Blattgold dazu geführt, dass eine dicke, unebene Kruste die ursprüngliche Form der Statue unkenntlich gemacht hat. Das Mahāmuni-Bild könnte eine Metapher dafür sein, was mit dem Buddhismus selbst passiert ist.

Im Jahr 2001 bin ich seit 25 Jahren Mönch der Theravāda-Tradition und mit dem 50. Geburtstag habe ich in diesem Jahr auch die konventionelle Halbzeit meines Lebens erreicht. Das war ein passender Anlass, mein Leben und meine Praxis zu bewerten und darüber nachzudenken, wie beides in der Zukunft sein würde. Selbst bevor ich Mönch wurde, hatte ich schon einige Vorbehalte in Bezug auf Dinge, die ich bei Aufenthalten in thailändischen und laotischen Klöstern sah. Diese haben mich aber nicht von der Ordination abgehalten. Ich dachte, dass Korruption und Missverständnisse in allen Religionen vorkommen und ich dachte, dass es nicht zu schwierig sein würde, die zu finden, die den wahren Theravāda praktizierten. Es war jedoch schwierig, solche Menschen zu finden. Wenn ich dann doch einmal engagierte und aufrichtige Theravādins kennen lernte, war es für mich noch enttäuschender, dass sie viel zu oft einen übertriebenen Wert auf das legten, was für mich kaum mehr als nur Rituale und Formalitäten waren. Ich erinnere mich an einen Besuch einer Tee-Plantage an einem Nachmittag mit dem ehrwürdigen Sivali aus Kambodscha, einem pflichtbewussten Mönch und geschickten Meditationslehrer. Der Manager der Tee-Plantage machte sich die Mühe, eine viertel Meile den steilen Berg herunter zu klettern, um uns zu begrüßen und uns eine Tasse Tee anzubieten. Wir nahmen sein Angebot an und er ging zurück auf dem Berg zu seinem Bungalow, um den Tee zuzubereiten um dann anschließend den Tee wieder zu uns nach unten zu bringen. Als ich nun an meinen Tee nippte, bemerkte ich, dass Sivali seinen Tee nicht anrührte und bedrückt dreinschaute. Ich sah, dass der Tee Milch enthielt und verstand nun Sivalis Reaktion. Einige Minuten später bemerkte auch der Manager, dass Sivali seinen Tee nicht trank und kam zu uns herüber, um zu fragen was das Problem sei. Sivali erläuterte es ihm freundlich und der Manager nahm Sivalis Tasse, schüttete den Inhalt aus und rannte besorgt und verlegen erneut den Berg hinauf zu seinem Bungalow, um dann mit einer neuen Tasse Tee ohne Milch zurück zu kommen. Wenn eine ganz normale Person sich über so etwas aufregen würde, dass er keine Milch im Tee hat, würden wir es als ein wenig exzentrisch abtun. Aber warum sollte ein anständiger und intelligenter Mensch, der sich der Praxis des Loslassens widmet, mit dem Gegenwärtigem zufrieden sein will und sich um die Entwicklung eines liebevollen Herzens bemüht, wegen einer so unbedeutenden Sache anderen Verlegenheit und Unannehmlichkeiten bereiten? Um diese Frage zu beantworten, muss man das Wesen des Theravāda verstehen, aber dies wurde mir erst nach und nach klar. Als dies passierte, beschloss ich, meine eigene Praxis zu verfolgen und den Kontakt zum institutionellen Theravāda so gering wie möglich zu halten. Nun, dies ist aber in einem Theravāda-Land leichter gesagt, als getan. Verständlicherweise erwarten die asiatischen Theravādins, dass du ihre Traditionen befolgst und diese nicht hinterfragst. Man kann darauf aufmerksam machen, dass gewisse Praktiken oder Ideen nicht Bestandteil des Pāli-Kanons sind oder diesem sogar widersprechen - das macht aber keinen Unterschied. Richtig oder falsch, albern oder von praktischem Wert, so wurde es schon immer gemacht und darum musst du das auch tun.

1996 reiste ich das erste Mal durch Europa, um mir einen Einblick darüber zu verschaffen, wie der Theravāda dort verstanden und praktiziert wird. Der Theravāda in Asien ist sehr konservativ und versteinert, dachte ich, aber wenigstens sind die Westler in der Lage, die Frucht von ihrer Schale zu trennen, das Geschenk von seiner Verpackung, den Buddha von der "dicken und unförmigen Kruste", die ihn umgibt. Zu meiner Verwunderung und Verzweiflung stellte ich fest, dass dem nicht so war. Die meisten Gruppen, Zentren und Klöster, die ich besucht habe, halten an diesen Praktiken mit einer fast größeren Zähigkeit als die in Asien fest. Letztlich musste ich zugeben, dass das der Theravāda ist, und sehr ungern, ja mit Traurigkeit, beschloss ich, dass ich nicht mehr länger ein Teil davon sein konnte. Ich begann jeden, den es interessierte, zu erzählen, dass ich mich nicht mehr als Theravāda-Mönch betrachtete und auch von anderen so nicht mehr gesehen werden wollte. Tatsächlich war ich wahrscheinlich niemals einer, wenigstens kein guter. Als ich das gegenüber einem Freund erwähnte, fragte er mich "Was für eine Sorte Mönch bist Du dann?" Ich war auf eine solche Frage nicht vorbereitet, nachdem ich aber einen Moment darüber nachgedacht hatte, beschloss ich darauf, dass ich mich nicht unbedingt irgend einer Schule angehörig fühlen muss. Seit dem Zeitpunkt folge ich Buddhas Lehren nach meinem besten Verständnis und nach meinen Fähigkeiten. Was nun folgt, sind Gedanken und Beobachtungen über die Theravāda-Tradition, die ich in den letzten 25 Jahren gemacht habe, einige Erfahrungen, die dazu geführt haben, einige Vorschläge in Hinblick auf die mögliche Zukunft des Dhamma im Westen.

Mag sein, dass einige die folgenden Reflexionen als wütende Abrechnung betrachten. Das sind sie aber nicht, obwohl es stimmt, dass ihr Niederschreiben eine Art Katharsis für mich war. Ich bin davon überzeugt, dass Buddhas Lehren wirklich "am Anfang, in der Mitte und am Ende gut" sind und dass sie eine glaubhafte Antwort auf die spirituellen Krise des Westens bieten kann. Ich glaube jedoch auch, dass die übermäßige Idealisierung des Theravāda in Asien durch die Westler eines der größten Hindernisse für das Wachstum des Dhamma außerhalb seiner traditionellen Heimat ist. Das bedeutet viel zu oft, dass der Dhamma oft mit all seinen überalterten Praktiken und Missverständnissen, welche sich um ihn gebildet haben, einfach unhinterfragt übernommen wird. Wenn diese Entwicklung andauert, wird der Dhamma im Westen keine Wurzeln schlagen. Ja, schlimmer noch: Die Probleme, welche den Theravāda in Asien plagen, werden von den Westlern möglicherweise nur fortgesetzt. Daher wollen diese Überlegungen auch zu zeigen versuchen, was der Theravāda wirklich ist, wie er das wurde, was er im Augenblick ist. Sie wollen auch mögliche Wege aufzeigen, wie er wieder seinen ursprünglichen Geist angenähert werden kann, so dass er auch außerhalb seines traditionellen Umfeldes Relevanz bekommen kann.

Wenige meiner Beobachtungen über den Theravāda habe ich selbst gemacht. Häufiger gehören sie zu der Sorte von Dingen, die man von ehemaligen Theravādins, Mahāyāna-AnhängerInnen oder anderen erfährt. Es handelt sich auch nicht nur um besonders aktuelle Beobachtungen. Im berühmten Vimalakīrtinidesa-Sutta zum Beispiel, einem Mahāyāna-Werk, das aus den frühen Jahrhunderten u. Z. stammt, täuscht der Nichtordinierte Vimalakirti vor, schwer krank zu sein. Der Buddha bittet nun seine Mönche, einen nach dem anderen, Vimalakīrti zu besuchen. Jeder seiner Mönche weigert sich aber seiner Bitte nachzukommen, weil sie wissen, dass Vimalakīrti weiser ist als sie. Für das Selbstbewusstsein der Mönche war die Idee unerträglich, dass sie von einem Laien lernen könnten. Weil der Buddha aber darauf besteht, beschließen die Mönche, gemeinsam zu Vimalakīrti zu gehen. Viele Freunde sind auch gekommen, um Vimalakīrti zu sehen und so beschließt Vimalakīrti die Gelegenheit zu nutzen, um den Dhamma zu lehren. Aber als er gerade beginnen will, gibt es eine Störung im Publikum. Sāriputta, einer der anwesenden Mönche, der in dieser Geschichte den typischen Hīnayāna-Mönch repräsentiert, verlangt seinem Status gemäß, einen erhöhten Sitz, um nicht mit den im Publikum sitzenden Laiennachfolgern auf gleicher Höhe sitzen zu müssen. Mithilfe seiner magischen Kräfte erzeugt Vimalakīrti "erlaubtes" Mobiliar und beginnt endlich mit seinem Vortrag. Auf halber Strecke wird der Dhamma-Vortrag erneut durch Sāriputta unterbrochen. Vimalakīrti fragt, was dieses Mal los ist, und Sāriputta antwortete ihm, dass ja gleich Mittag sei und alle Mönche vor 12 Uhr essen müssen. Wieder erzeugt Vimalakīrti mit seinen magischen Kräften Essen für die Mönche und während die Mönche ihr Essen mampfen, fährt er mit seiner Dhamma-Rede fort. Als Vimalakīrti mit seiner Rede fertig ist, öffnete sich der Himmel und viele himmlische Blüten regneten auf die ganze Versammlung herab. Sāriputta und die anderen Mönche aber wischen sich empört die Blüten von ihren Roben ab und sagen dabei: "Uns Mönchen ist es nicht erlaubt, sich zu schmücken." Dieses Verhalten könnte man, obwohl nicht unter Mitwirkung himmlischer Gefilde, in einem Theravāda-Kloster beobachten - sogar heute und sogar im Westen beobachten.

Diese Überlegungen befassen sich nicht mit den Missbräuchen und der Korruption, die den Theravāda befallen haben und ich werde diese nur im Vorübergehen andeuten. Meine Hauptsorge gilt nicht der Frage, dass man den Theravāda nicht richtig praktiziert, sondern wie man ihn praktiziert. Einige meiner Beobachtungen lassen sich auch auf dem Mahāyāna, und besonders im tibetischen Buddhismus anwenden. Es gibt jedoch nachdenkliche westliche Mahāyāna-Buddhisten, die damit begonnen haben, bestimmte Aspekte ihrer Tradition zu hinterfragen, und sie können dies besser kommentieren als ich. Die Probleme des Theravāda im Zusammenhang mit der Meditation werde ich hier auch nur anschneiden. Das Thema Meditation ist zu bedeutend und sollte meiner Meinung nach separat und in aller Tiefe erforscht werden. Ich hoffe, dies einmal in der Zukunft tun zu können. Häufig zitiere ich aus verschiedenen Büchern, u. a. aus "The Buddhist Monastic Code" von Thanissaro Bhikkhu und aus "The Buddhist Monk's Discipline - A Layman´s Guide" von Ariyesako. Beide vertreten nach meinem Dafürhalten den orthodoxen Standpunkt des Theravāda. Ich stimme mit den meisten Aussagen der beiden ehrwürdigen Autoren nicht überein, möchte dies aber nicht als Respektlosigkeit ihnen persönlich gegenüber verstanden wissen. Buddhas Lehren sind reich und erlauben deshalb eine breitere Interpretation. Ich glaube, dass eine alternative Position zum Theravāda seit langem überfällig ist. Des Weiteren zitiere ich aus "Buddhism and Society" von Milford Spiro, einer anthropologischen Studie des Theravāda in Burma. Spiro's Beobachtungen sind wertvoll, nicht nur deswegen, weil sie oft mit meinen übereinstimmen, sondern weil sie von einem unabhängigen und objektiven Beobachter stammen, der kein Hühnchen mit jemandem zu rupfen hat. Zu guter Letzt bleibt mir noch zu erwähnen, dass meine Kommentare über die Laien, die die Mönche täglich verhätscheln, nicht als Undankbarkeit meinerseits verstanden werden sollen. In den Jahren, die ich in Sri Lanka verbrachte, haben mich eine Vielzahl von Menschen, ob nun Städter in Colombo oder die einfachen und frommen Dorfbewohner auf dem Lande, immer großzügig und mit der größten Freundlichkeit behandelt, und dafür werde ich immer dankbar. Es ist jedoch Zeit, diese Beziehung zu beenden - ich muss einen anderen Weg gehen.

 

 

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